Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
unterschiedliche Richtungen. Jeder war mit seiner Trauer allein.
Er zögerte, dann ließ er das Handy zurück in die Tasche gleiten. Er würde Elli später anrufen. Erst einmal wollte er mit seinen Eltern allein sein.
Der Nachmittag zog vorüber, ohne dass etwas passierte. Hambrock ging ab und zu auf den Parkplatz und telefonierte mit den Kollegen, aber wie es schien, kamen sie auch ohne ihn gut zurecht. Auch in der Nacht geschah nichts mehr. Birgits Zustand blieb stabil.
Irgendwann – seine Mutter war gerade auf einer Bank eingeschlafen – ging er mit seinem Vater in die verlassene Cafeteria hinunter, um Tee aus dem Automaten zu trinken. Sie setzten sich ins Halbdunkel des Besucherraums. Lange fiel kein Wort zwischen ihnen. Hinterm Verkaufstresen surrte eine Kühlung, sonst war alles still.
Hambrock hatte seinen Vater noch nie so erlebt. Wortkarg, nach innen gekehrt und seltsam hilflos. Er hatte nicht vor, ihn auf seine Verfassung anzusprechen, doch nach einer Weile begann sein Vater von allein zu reden. Offenbar hatte er das Gefühl, etwas erklären zu müssen.
»Deine Mutter …«, begann er. »Sie ist …«
Danach fiel er jedoch wieder in Schweigen. Hambrock wartete, und gerade als er glaubte, es würde nichts mehr folgen, setzte sein Vater erneut an.
»Birgit ist immer noch mein kleines Mädchen, weißt du? Ganz egal, wie alt sie ist. Sie …« Er sah ihn mit großen Augen an. »Ich muss sie beschützen. Dafür leben wir doch. Um unsere Kinder zu beschützen. Aber ich kann es nicht. Deine Mutter …«
Wieder brach er ab. Aber Hambrock hatte längst verstanden. Er legte ihm die Hand auf die Schulter.
Natürlich wusste sein Vater, dass seine Frau nicht mehr von ihm erwartete, als bei ihr zu sein. Sie verlangte gar nicht, dass er ihr Kind rettete. Trotzdem konnte er es nicht ertragen, so hilflos zu sein.
Hambrock sah hinaus auf den Parkplatz. In dieser Nacht wurde Frost erwartet. In der klaren Luft bildete sich Nebel. Die Straßenlaternen waren nur verschwommene Lichter. Alles war in Watte gepackt.
»Gehen wir ein paar Schritte?«, fragte er und deutete hinaus. »Ich könnte ein bisschen frische Luft vertragen.«
»Ja, das ist eine gute Idee. Gehen wir ein Stück.«
Der Rest der Nacht verlief ereignislos. Birgits Zustand war stabil, und es blieb immer noch ein Funken Hoffnung, an den sie sich klammern konnten.
Nach der Morgenvisite überredete der Arzt seine Eltern, für ein paar Stunden nach Hause zu fahren und sich hinzulegen. Hambrock beschloss, ebenfalls eine Pause zu machen. Er ging nach Hause, duschte lange und heiß, machte sich ein kleines Frühstück und fuhr danach ins Präsidium, um zu sehen, wie die anderen vorankamen.
Gratczek und Keller waren bereits da. Sie recherchierten nach den Personen, die in den letzten Kriegsjahren auf dem Hof von Schulte-Stein gelebt hatten. Dabei kamen sie aber nur mühsam voran. Es war Samstag, die Ämter und Behörden waren geschlossen, und vorerst standen den beiden nur Helga Schulte-Stein und ihr Sohn Manfred zur Verfügung, um die Vergangenheit auf dem Hof aufzuarbeiten.
Hambrock beschloss, Carl Beeke anzurufen. Er würde ihnen am ehesten weiterhelfen können, davon war er überzeugt. Er besorgte sich einen starken Kaffee, ging in sein Büro und wählte die inzwischen vertraute Nummer. Carl Beeke war sofort am Apparat.
»Bernhard Hambrock hier. Ich störe hoffentlich nicht? Ich habe ein paar Fragen, bei denen Sie vielleicht behilflich sein könnten.«
»Nein, Sie stören nicht, gar nicht. Ich freue mich, wenn ich helfen kann. Legen Sie ruhig los.«
»Unsere Ermittlungen führen in viele Richtungen«, begann Hambrock etwas umständlich, um den Eindruck zu vermeiden, sie verfolgten gerade eine heiße Spur. »Unter anderem beschäftigen wir uns noch einmal mit dem Fotoalbum, das Rosa Deutschmann gestohlen wurde. Wir hatten ja schon darüber gesprochen.«
»Richtig«, sagte Carl Beeke. »Und ich habe immer wieder darüber nachgedacht. Aber auf diesen Bildern war kein unbekanntes Gesicht und keine unübliche Situation. Ein paar der SS-Leute kannte ich nicht, aber die kamen ja auch nicht aus Düstermühle. Und sonst … nein. Ich weiß nichts.«
»Also gehe ich davon aus, dass es etwas auf dem Bild gewesen sein muss, das Alfons kurz vor seinem Tod aus dem Album herausgenommen hat.«
»Das denke ich auch. Aber was könnte da abgebildet sein? Ich habe keine Idee. Wahrscheinlich waren es Leute, die im Garten der Schulte-Steins standen.«
»Sehen
Weitere Kostenlose Bücher