Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
Ilses Abwesenheit, die Trauer des Kommissars, die vielen Treppenstufen. Und was die Frage nach Rosas Mörder anging, war er keinen Schritt weitergekommen.
Vielleicht hätte er den Stammtisch besser ausfallen lassen sollen, um sich zu Hause auszuruhen. Doch dafür war es jetzt zu spät. Er nahm sich also zusammen und steuerte auf den Eingang von Moorkamps Gastwirtschaft zu.
Keine Spur von Niklas. Keller stellte seinen Wagen in die zweite Reihe, ließ den Motor laufen und hastete ins Mietshaus, in dem er wohnte. Vielleicht hatte ein Nachbar ihn hereingelassen.
»Niklas!«, rief er ins Treppenhaus.
Doch nichts. Er nahm ein paar Stufen, lehnte sich übers Geländer und sah hinauf zu seiner Wohnungstür.
»Niklas! Bist du hier?«
Mit einem Fluch rannte er zurück zum Wagen und schwang sich hinters Steuer. Im Schritttempo fuhr er zum Bahnhof, den Blick auf den Bürgersteig gerichtet. Er hatte die Hoffnung, seinen Sohn irgendwo zu überholen. Am Bahnhofsvorplatz gab es keine Parkmöglichkeit. Keller ließ den Blick über die Menge schweifen, aber da waren einfach zu viele Menschen, die vor dem Haupteingang herumwuselten.
»Mist, verdammter!«
Die Hand am Steuer, zog er das Blaulicht unterm Sitz hervor, um es aufs Dach zu setzen, mitten auf den Bahnhofsvorplatz zu fahren und den Wagen dort abzustellen.
Da sah er ihn plötzlich. Niklas. Er hatte die Abkürzung durch die Fußgängerzone genommen und schlurfte mit seinem Schalke-Schal gerade in Richtung Haupteingang.
Keller riss das Lenkrad herum. Ein riesiger Bus tauchte hinter ihm auf und begann lautstark zu hupen. Ein zweiter musste ebenfalls abbremsen und fiel ins Hupkonzert ein. Keller achtete nicht drauf, sondern gab Gas und überquerte gegen alle Verkehrsregeln die Fahrbahn. Auf der anderen Seite ließ er das Fenster herab und rief den Namen seines Sohns. Doch der hörte nichts. Er trug Ohrstöpsel.
Keller rollte auf den Busstreifen. Er war jetzt direkt hinter ihm und rief wieder seinen Namen, so laut er konnte. Und endlich blickte sich der Junge um. Doch als er seinen Vater erkannte, verdunkelte sich seine Miene noch mehr. Er wandte sich ab und schlurfte weiter.
»Niklas! Jetzt warte doch!«
Keller sprang aus dem Wagen und packte ihn an der Schulter. Niklas drehte sich genervt um und zog einen Stöpsel
heraus.
»Wo willst du denn hin?«, fragte Keller.
Niklas verdrehte die Augen.
»Hast du mich denn nicht gesehen? Jetzt sag schon. Wo willst du hin?«
»Wohin soll ich schon wollen? Zum Zug.«
Keller holte tief Luft. »Hör zu: Es tut mir leid, Niklas, dass ich nicht zu Hause war. Da war ein wichtiger Einsatz. Ich hab dir auf die Mailbox gesprochen. Da wusste ich noch nicht, dass dein Handy kaputt ist. Das Ganze ist echt blöd gelaufen. War meine Schuld, okay?«
Der Junge blickte weiterhin gekränkt zu Boden. Keller legte den Arm um seine Schulter und zog ihn zu sich heran. Spielerisch boxte er ihm in die Seite.
»Komm schon, Niklas. Zur zweiten Halbzeit schaffen wir das noch. Und die erste hören wir uns auf der Autobahn im Radio an. Also, sollen wir los?«
Doch der Junge wand sich aus der Umarmung. Er steckte seinen Stöpsel wieder ins Ohr. »Kein Bock mehr. Tschüs.«
Doch so leicht ließ sich Keller nicht abservieren. Er packte ihn bei der Schulter und zog den Stöpsel wieder heraus. »Ich hab doch gesagt, es tut mir leid. Bitte, Niklas. Hör mir erst in Ruhe zu. Dann kannst du immer noch entscheiden, ob du wirklich nicht mit mir ins Stadion fahren willst.«
Der Junge sah bockig aus, blieb aber stehen und wartete. Also gut, dachte Keller.
»Ich weiß, du machst gerade eine ätzende Zeit durch. Ich sollte mehr Zeit für dich haben. Hör mal, wenn diese Mordermittlung erst vorbei ist … Da habe ich so viele Überstunden, da kann ich mir tagelang freinehmen.«
Niklas stöhnte auf.
»Es tut mir leid, Niklas. Ich weiß ja, wie das für dich ist. Deine Mutter und ich … du würdest dir wünschen, wir würden anders mit der ganzen Sache umgehen. Das alles besser hinkriegen. Aber ich sage dir, wir bemühen uns. Das Leben von Erwachsenen kann eben manchmal ganz schön kompliziert sein. Natürlich ist das für dich nicht zu verstehen: Da wird dir plötzlich ein neuer Vater vorgesetzt, und dann …«
»Dieter ist schon in Ordnung«, warf Niklas ein.
Dieter, der schleimige Anwalt. Für Keller brauchte Niklas diesen Typen nicht in Schutz nehmen.
»Ich verstehe schon. Trotzdem. Natürlich wolltest du deine Familie so behalten, wie sie war. Deine
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