Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
gar nicht, wenn auf meiner Station etwas hinter meinem Rücken geschieht. Als hätte ich geahnt, dass mal die Polizei danach fragen wird.«
Gratczek nahm den Zettel entgegen. Volltreffer. Er konnte nicht glauben, was er sah. Sechs Richtige im Lotto. Das passierte also, wenn Keller ihn im Einsatz sitzen ließ: Gratczek zog den großen Gewinn. Das würde er Hambrock so richtig unter die Nase reiben, da konnte Keller Gift drauf nehmen. Der würde Jahre brauchen, um das wiedergutzumachen.
»Vielen Dank. Sie haben uns sehr geholfen.«
Auf dem Weg zum Fahrstuhl dachte er fieberhaft nach. Es war zwar Sonntag, aber er würde dieses Rätsel lösen, und zwar heute noch. Das schwor er sich.
Gratczek nahm sein Handy und wählte eine vertraute Nummer. Er würde schon bald wissen, wer der Halter dieses Fahrzeugs war. Und dann wäre er dem Teufel mit der Narbe, wie die Schwester ihn nannte, dicht auf der Spur.
18
Der Schankraum von Moorkamps Gaststätte war verwaist. Hinterm Tresen und in der Küche war niemand zu sehen. Von nebenan drangen Tellergeklapper und Stimmengewirr herüber. Eine Gesellschaft befand sich im Saal, und das Mittagessen wurde gerade aufgetragen. Carl ließ seinen Blick über die Menschenreihen wandern, konnte jedoch keinen der Moorkamps entdecken.
Aber das machte nichts. Er kannte ja den Weg. Langsam ging er zum Hinterzimmer und drückte die Tür auf. Doch zu seiner Überraschung war auch dieser Raum leer. Kalter Rauch hing in der Luft, und eine seltsame Stille lag über dem langen Eichentisch. Es war keiner da.
Er ging zurück in den Schankraum. Sabine Moorkamp tauchte mit einer Kiste Weinflaschen im Arm auf.
»Carl, was machst du denn hier?«, begrüßte sie ihn.
»Ich wollte zum Stammtisch. Wo sind denn dein Vater und die anderen?«
»Ach herrje. Hat dir keiner was gesagt? Der Stammtisch fällt heute aus.«
»Ach so? Nun ja, ich war nicht in der Kirche. Wahrscheinlich haben da alle gedacht, ich würde ohnehin nicht kommen. Wieso fällt er denn aus? Ist etwas passiert?«
»Nein. Vater ist nur krank. Mutter ist bei ihm und kümmert sich. Es war den beiden heute einfach zu viel. Deshalb.«
»Er ist krank? Was hat er denn?«
»Ich weiß nicht. Einen Virus oder so was. Ich war noch gar nicht bei ihm. Mutter sagt, es ist nichts Schlimmes.« Sie deutete mit dem Kinn zum Festsaal. »Ich muss weiter, Carl. Tut mir leid, aber das Mittagessen wird gerade serviert.«
»Nein, nein. Geh ruhig. Bis bald.«
Draußen auf dem Parkplatz dachte er nach. Konnte das ein Zufall sein? Der erste Stammtisch nach Rosas Tod, und Heinz sagte ihn kurzerhand ab? War er denn wirklich krank? Oder wollte er vielmehr ein Zusammentreffen der Stammtischler vermeiden, jetzt, wo alle noch aufgewühlt und fassungslos waren? In der Hoffnung, bis zum nächsten Treffen wäre ein wenig Gras über die Sache gewachsen.
Carl umrundete das Gebäude und klingelte bei Heinz und Inges Wohnung an. Es dauerte eine Weile, doch dann wurde ihm geöffnet. Inge stand mit großen Augen auf der Schwelle.
»Carl, du? Was führt dich denn hierher?«
»Ich war nicht im Hochamt und wusste deshalb gar nicht, dass der Stammtisch ausfällt. Sabine hat gesagt, Heinz ist krank. Ist es denn was Ernstes?«
»Nein, nein. Nur ein Virus. Keine Sorge.«
»Kann ich ihm einen Krankenbesuch abstatten? Wo ich schon mal hier bin.«
»Oh. Ich …« Sie sah sich besorgt um. »Ich … das geht nicht, Carl. Tut mir leid. Er … er … er schläft gerade.«
Carl nickte. Es war eine Lüge. Aber was sollte er da machen?
»Dann grüß ihn von mir«, sagte er.
Sie wirkte erleichtert. »Das mache ich, Carl.«
Eilig verabschiedete sie sich und schloss die Tür. Carl fühlte sich in seinem Verdacht bestätigt. Der Stammtisch fiel aus, weil Heinz sich der Gemeinschaft nicht stellen wollte.
Unschlüssig blieb er auf dem Parkplatz stehen. Sollte er zurück in die Gastwirtschaft und Sabine bitten, seine Tochter anzurufen? Doch wahrscheinlich war Christa noch immer unterwegs. Wer könnte ihn stattdessen fahren?
Er blickte sich um. Bis zur Kirche waren es gut hundert Meter. Er beschloss, eine Kerze für Mia anzuzünden und sich ein wenig auszuruhen. Doch nachdem er sich erst einmal auf den Weg gemacht hatte, kam ihm die Strecke wesentlich länger vor. Als er endlich das Kirchenportal erreicht hatte, konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten. Er tauchte in das stille und von Weihrauch geschwängerte Innere der Kirche und ließ sich auf eine der hinteren Bänke
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