Duft der Unschuld - Tennington (German Edition)
Quatsch von wegen Liebe nervte mich gewaltig! Solche Ideen waren mir neu, irgendwie fremd.
Ich war doch in der Vergangenheit nicht anders gewesen, als er heute war! Und trotzdem konnte ich es ihm nicht zugestehen.
„Vor wem?“ Seine sanfte, so ernst klingende Frage durchbrach mein Gedankenchaos und ich blinzelte.
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was er meinte. „Schon gut, hat nichts mit dir zu tun.“
Nur damit, dass jemand mein Vertrauen so nachhaltig zerstört hatte, dass vermutlich nur sein guter Geruch mich nicht vollkommen abstieß.
Er machte ein missbilligend klingendes Geräusch, dann legte sich seine Hand auf meine Schulter und ich verspannte mich. „Du musst nicht drüber reden, Etienne. Niemand steht mit einer Pistole hinter dir. Wenn du irgendwann wen zum Reden brauchen solltest, werde ich da sein.“ Er wandte sich um und ließ mich dort stehen. Einfach so.
~*~
Ich sah ihm nach, seiner hochgewachsenen, schlanken Gestalt in den Reithosen, die mein Blut sofort in Wallung brachten.
Verliebt, nein, das durfte nicht sein. Ich konnte mich nicht verlieben. Das war ausgeschlossen. Nicht nach allem, was sie mir angetan hatten! Und überhaupt, hatte ich nicht längst beschlossen, dass ich nie wieder Sex mit jemandem haben wollte?
Die Erinnerungen an meine Gefangenschaft brachen sich Bahn und traten gesammelt und ohne Vorwarnung in mein Bewusstsein. Ich sank neben Giacomos Box in die Knie und schluchzte leise.
Sie hatten mir weh getan. Mich benutzt und mir etwas von meinem Leben genommen. Wortwörtlich.
Sie hatten von mir gewollt, was niemand anders ihnen geben konnte, und es war ihnen egal gewesen, ob sie mich damit quälten und mich schlussendlich umbrachten.
Meine eigenen Eltern, meine Großeltern, meine Onkel und Tanten, sie alle hatten nur das gewollt, was sie vorwärts brachte, was ihnen etwas schenkte, das sie selbst nicht mehr besaßen.
Ich schrie gepeinigt auf und schlug mit den bloßen Fäusten auf den Betonboden der Stallgasse. Die Pferde wurden unruhig, ich musste hier raus. Mühsam schleppte ich mich zum Ausgang des Stalles, wankte durch den Torbogen zum See und schaffte es irgendwie bis zum Ufer. Ich ließ mich in das nachtfeuchte Gras fallen und schniefte. Meine Nase war plötzlich zu, wie eingekleistert. Es machte mir nichts aus. Vielleicht war es besser so.
Mein Blick verschwamm und ich starrte trotzdem über das Wasser des dunkel und ruhig daliegenden Sees. Es war bereits sehr spät, sicher schon weit nach Mitternacht, als ich die Kälte an meiner Uniform heraufkriechen spürte. Trotzdem blieb ich dort sitzen. Ich wollte nicht reingehen, wollte nicht riskieren, dass mich ein Verbindungslehrer gleich am ersten Tag dabei erwischte, die Nachtruhe zu brechen.
Ich schniefte noch einmal, dann rollten Tränen über mein Gesicht. Nicht die ersten für heute und sicher nicht die letzten. Der Schmerz saß zu tief. Die Erinnerungen an das, was letztes Jahr im Herbst begonnen hatte, standen wie eine Mauer, unüberwindlich und kilometerdick vor mir. Nein, um mich herum. Niemand würde je zu mir durchdringen können, vollkommen unabhängig davon, was ich mir wünschen könnte.
Selbst Yves, den mein Instinkt für perfekt hielt – zumindest vom Duft her – kann ich nicht an mich heranlassen. Zu groß ist die Angst … Er hatte recht vorhin. Ich hatte Angst vor ihm. Davor, dass er mich ebenso verletzen könnte, wie meine Familie es getan hatte.
Denn ja, durch meine Gefühle für ihn hätte er diese Macht über mich. Und niemandem stand sie zu, die Macht, mich zu zerstören!
Er konnte nichts dafür, aber ich eben auch nicht. Merde , das Leben war vor anderthalb Jahren noch so einfach. Ich hatte Spaß und genoss es, jung zu sein. Heute wünschte ich mir nichts mehr, als alt und runzlig zu sein. Unbrauchbar für die Zwecke meiner Verwandtschaft.
Ausgerechnet die, die mich lieben müssten, liebten nur meine Fähigkeit. Fügten mir ganz absichtlich große Qualen zu, um sich selbst etwas Gutes zu tun.
Ich schluchzte auf und das so laut, dass ich mich dafür schämte. Ich wollte nicht heulen oder Schwäche zeigen. Ich war nicht aus dieser Hölle geflohen, um jetzt, endlich in einer gewissen Sicherheit, doch noch zu zerbrechen!
Ich schrie auf, als sich eine Hand sacht auf meine Schulter legte. Ich fuhr herum und starrte in der Dunkelheit nach oben. Meine Augen waren an die Finsternis gewöhnt, deshalb erkannte ich Yves.
Meine Nase war noch immer zu, wofür ich nun noch dankbarer war.
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