Duftspur
Bohnen abraten und einen witzigen Schlüsselanhänger aus Plüsch empfehlen. Frauen kaufen so was hier. Spontankäufe nennt das der Werbefuzzi. Es scheint, als hätte ich nicht alles aus der Umschulung vergessen. Ah, mein Spezi, der mit der rotblauen Knollennase, deren Maserung einer Straßenkarte vom Ruhrgebiet gleicht, sieben Kümmerling und kein Wort. Demgegenüber ein Trupp aus der jugendlichen Spaßgeneration, feixend, lachend, fünf Feiglinge, zwei Tüten Chips, schönen Abend noch, dir auch Kumpel. Sicher.
Gegen Mitternacht komme ich dazu die Zeitung zu studieren. Besonders die Kleinanzeigen interessieren mich. Biete, suche, bitte mit Gehaltsvorstellung an die Personalabteilung, zu Händen Herrn Obertürvorsteher ›Du-kommst-hier-net-rein‹. Nichts für mich dabei. Der Wohnungsmarkt verlangt bei den interessanten Angeboten Bewerbungen unter Chiffre. Keine Haustiere, keine Kinder, Nichtraucher – die meinen mich – Doppelverdiener oder Rentnerehepaar – nein, mich meinen die nicht.
»Na«, kommt Rudi aus der Kammer, in der er einige Stündchen geschlafen hat. Müde blinzelnd schaut er mir über die Schulter.
»Wohnungen? Du wohnst doch schon«, er kratzt sich geräuschvoll über die Bartstoppeln unterhalb des Kinns.
Ich berichte nüchtern von meinem Desaster, erspare dem Zuhörer große Emotionen wie Wut und Verzweiflung, mag mich nicht auflehnen, von Ungerechtigkeit reden und mich fragen: Warum ich? Es ist halt so.
»Kannst du nicht dagegen klagen?«, versucht Rudi mich zum Kampf zu bewegen.
Könnte ich, will ich aber nicht. Ich schüttle mein Haupt und schnaufe.
»Hier wird nicht geheult. Du weißt genau, ich kann dicke Frauen und alte Männer nicht weinen sehen.« Rudi grinst frech.
»Idiot«, entgegne ich lachend und will mit einem Scheibenschwamm nach ihm werfen, als das Telefon klingelt. Unfall auf der B 54, Stegskopf. Ein Militärfahrzeug und ein Zivilisten-Polo haben sich ineinander verhakt. Kollateralschäden in Form verbogenen Blechs und ein Schleudertrauma, doch das wird seitens Rudi nicht behandelt. Eigentlich verwunderlich, dass er sich noch nicht hat zum Sanitäter ausbilden lassen, bei seiner Geschäftstüchtigkeit. Schrauberklaus hätte ihm sicherlich einen Defibrillator zusammengetüftelt. Vor meinem geistigen Auge sehe ich gerade, wie Rudi sich über einen blutüberströmten, blassen Mann beugt, ihm das Hemd aufreißt, dass die Knöpfe spritzen und ihm mittels zweier Bügeleisen Elektroschocks verpasst. Die haarige Brust bäumt sich auf, sackt wieder zusammen, jetzt von zwei verkokelten Dreiecken geziert, dünne Rauchspiralen steigen auf, der Herzmuskel hat nicht reagiert, Rudi zählt und will erneut ansetzen, ich bin völlig übermüdet und sollte nach Hause fahren.
Normalerweise hätte ich jetzt Schluss, doch so wie es aussieht, braucht Rudi einen zweiten Mann bei der Blechtrennung. Er ruft Susanne an, die den Shop auch im Pyjama beaufsichtigen kann. Seine Meinung. Susannes Antwort darauf ist zwar laut, aber mir unverständlich.
Kurze Zeit später brausen wir zum Unfallort.
»Der Polo ist ein Totalschaden«, klärt Rudi mich auf. Das sieht selbst ein Laie. Der Fahrer des Militärfahrzeuges ist abgehauen. Da hat wohl jemand unangemeldet eine Spritztour unternommen oder war betrunken. Der Polofahrer sitzt im Polizeibulli und guckt kariert.
»Scheiß Drogen«, murmelt Rudi und wir machen uns an die Arbeit.
Auf dem Rückweg mit den Blechschäden im Schlepp fällt ihm ein: »Heiner, also«, ui, wenn er schon im Vertrauenslehrertonfall anfängt, sollte man sehr aufmerksam zuhören, »wenn du nicht zu verwöhnt bist, was ich bezweifle, dann könnte ich dir einen Bauwagen anbieten. Nichts besonderes, er ist auch nicht mehr in einem Topzustand, aber, na ja, also, ich dachte nur ...« Doppel-Ui, wenn ich jetzt nicht augenblicklich Begeisterung zeige, wird er gekränkt sein. Rudi ist ein herzensguter Mensch, doch seine uneigennützige Großzügigkeit hält sich in Grenzen. Er ist fair, keine Frage, aber er ist durch ein Geiz-Gen vorbelastet.
»Hey, das wäre super. Danke!«, platze ich glockenhell munter und freudig in Rudis schon in anklagenden Ton verfallen wollende Stimmlage. Ein Bauwagen, jesses, keimt das Gefühl in mir auf, das man hat, wenn man etwas zusagt und es im gleichen Moment schon wieder bereut. Während ich mit meiner Zukunft hadre, sie mir in den schlimmsten Farben zeichne, so ohne Strom, ohne Wasser, ohne alles, sprudeln die Details aus Rudi heraus. Und, welch
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