Duftspur
reiches Gör? Eine Flasche Wasser wäre wirklich nicht schlecht. Außerdem könnte ich den stinkenden Baum vorm Turm beehren. Fessle sie, meint Kalle. Kalle, so was kann man doch nicht machen. Ist doch nur für kurz, überredet er mich.
»Okay«, sag ich, schnappe nach ihren Handgelenken und drehe sie ihr auf den Rücken. Spitz schreit sie auf. Damit hat sie nicht gerechnet. Ich hätte mir vorher ein Seil bereit legen sollen. Auf Michaels Bett liegt ein Lederband. Wahrscheinlich aus seinem Warenbestand. Der dünne, schwarze Riemen wird es tun müssen. Ich wickle ihr mehrfach den Armschmuck um die Handgelenke und zurre die Schnur fest. Luca protestiert, doch dem setze ich ein Ende, indem ich sie bäuchlings auf das Bett werfe und ihre Laute nur noch die Kissenfedern erreichen. Als nächstes ziehe ich einen Gürtel aus einer von Michaels Hosen, die auf dem Bett liegen, wobei ich mich nicht erinnern kann, ob die dunkle Jeans vorher auch schon da war. Mit dem Gürtel fixiere ich Lucas einen Arm am Bettpfosten. Wütend dreht sie ihren Kopf herum:
»Ich schreie!«
»Tu das, ich lasse die Tür auf und hoffe, dass die Typen aus dem Mustang dich erhören mögen!« Hey, meint Kalle anerkennend, du kannst ja auch kaltschnäuzig sein.
»Bin gleich zurück. Nicht weglaufen.« Ich vernehme noch einen Laut des Unmuts, doch dann hält Luca tatsächlich die Klappe.
34
Vorsichtig öffne ich die Tür des Hungerturms und spähe hinaus. Meine Augen brennen immer noch. Die kühle Nachtluft tut gut. Das Markieren des Pinkelbaums auch. Geduckt renne ich anschließend über den äußeren Burghof. Alle, die jetzt auf den Beinen sind, werden sich auf die Löschaktion konzentrieren. So hoffe ich, niemandem zu begegnen, wenn ich in die Burg schleiche und mir aus dem Vorratsraum zwei Flaschen Wasser hole. Unbehelligt erreiche ich den Lakaieneingang, der, dem Himmel sei Dank, nicht verschlossen ist. Im Dunkeln tappe ich zu den Getränkekisten. Nur die kleinen Lämpchen der Kühleinheiten geben mir eine Orientierung. Leise entnehme ich einer Kiste stilles Wasser und beeile mich, in den Schutz des Hungerturms zurück zu kommen. Auf meinem Weg über den Grillplatz erregt eine Silhouette meine Aufmerksamkeit. Ich ducke mich hinter einen dicken Stein und sehe Greta, wie sie zu ihrem Kiosk geht. Sie muss zuvor gerannt sein, denn stoßweise entweichen Atemwölkchen ihrem Mund. Sie dampft regelrecht.
Der Feuerschein des brennenden Fachwerkhauses ist bis hierher zu sehen. Er verleiht der Nacht etwas Unheimliches. Fegefeuer. Hexenverbrennung. Nu ist gut. Los, sieh zu, dass du zum schützenden Turm kommst. Verschanz dich hinter dicken Mauern, keifte Marie immer zornig schrill, wenn sie bei mir nicht auf offene Ohren stieß, wenn sie mal wieder an unserer Beziehung arbeiten wollte. Was genau hieß, ich sollte so daran arbeiten, dass ich ihrer Vorstellung von Partnerschaft am nächsten kam. Statt Essen wartete ein Kamasutra-Buch auf meinem Platz. Aufgeschlagen, drei Stunden Dauererektion war unterstrichen, gefolgt von einem vorwurfsvollem Ausrufungszeichen. Na, Prost Mahlzeit. Ich hatte einen 10-Stunden-Tag hinter mir, kam hungrig nach Hause und sollte an der Beziehung arbeiten, wobei ich mich liebend gerne durch ein Kotelett gearbeitet hätte. Ich weiß nicht, wo Marie gelesen haben mochte, dass Verhungernde zu solchen Höchstleistungen fähig seien. Nicht nur die Küche war kalt. Vorbei.
Kalt ist auch der Stein, hinter den ich abgetaucht bin. Ich schieße aus der Hocke hinüber zum Hungerturm, erstürme die Treppe, husche ins Innere und verriegle die Tür mit einem dicken Holzbrett, das sich durch zwei massive U-Eisen an der Tür schieben lässt und uns vor der Außenwelt verbarrikadiert. Das nenne ich einen Riegel. Mir fallen die Müsliriegel ein, die ich noch in meinem Gepäck haben müsste. Bevor ich Luca losmache, suche ich die. Beim Bücken unter das Bett fällt mir Michaels Briefumschlag aus der Hosentasche. Hier ist es zu dunkel zum Lesen, daher knicke ich ihn in der Mitte und stopfe ihn wieder rückwärtig in meine Jeans. Meine Duftprotokolle habe ich auch noch nicht gemacht. Irgendwie fühle ich mich total überfordert, erschöpft und konfus. Zu viel Zwielicht.
Ein bisschen Helligkeit wäre nicht schlecht. Bei Michaels Sachen müssten Kerzen sein. Ich taste mich auf seine Seite. Auf dem Fenstersims meine ich, hätten Teelichter gestanden. Ich finde sie und auch ein Päckchen Streichhölzer. Eines der beiden Teelichter zünde ich an
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