DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend
siebenundzwanzig hinaufgefahren wurde.
Das Bett war zurückgeschlagen. Sein Pyjama lag auf der Decke ausgebreitet. Nüchtern zog er sich aus.
Laut Vereinbarung sollte Scrivener von seinem Schweizer Literaten um die Mittagszeit abgeholt werden. Um fünf Minuten vor zwölf war er bereit und wartete in der Hotelhalle.
Genau drei Minuten vor zwölf kam Annette Limoges aus dem Lift in ihren gestreiften Jeans, den Sandalen und dem Smaragdhemd. Ihre Lippen waren leuchtend rot.
»Es ist alles abgemacht«, sagte sie mit einem breiten Lächeln. »Ich habe den Wagen bestellt. Ich hole um halb eins Alberto ab.«
Während sie sprach, betrat ein beleibter Mann in grauem Anzug mit einem Filzhut in der Hand das Hotel. Er bewegte sich schwerfällig auf Scrivener zu.
»Mr. Robert Scrivener?« fragte er mit schweizerdeutschem Akzent und leutseligen Manieren. »Darf ich mich vorstellen? Fritz Lieber, et cetera, vom Internationalen Schriftstellerverein. Willkommen in Genf.«
»Danke schön«, sagte Scrivener, und nach einem Moment des Zögerns: »Das ist Mademoiselle Limoges.« Der beleibte Mann verbeugte sich.
»Es ist zu schade, Herr Lieber, daß Sie Mr. Scrivener zu einem feierlichen Mittagessen entführen«, verkündete Annette fröhlich. »Wir hatten alles so schön für einen Tag in den Bergen eingerichtet.« Herr Lieber wandte sich erstaunt an den Schriftsteller. »Ich hoffe, es hat da nicht irgendwo ein Mißverständnis gegeben«, fing er an, und Scrivener winkte verlegen ab.
»Nein, nein, natürlich nicht, unser Essen ist schon vor Wochen festgesetzt worden.«
Sein Gefährte für diesen Tag murmelte etwas davon, daß Freunde des Ehrengastes an der Mittagstafel selbstverständlich willkommen seien.
Robert Scrivener, der in Annettes Augen ein kurzes Zögern bemerkte, unterbrach schnell. Eine solche Einladung müßte sicher auch den Bademeister einschließen.
»Mademoiselle Limoges hat sich anderweitig verabredet«, sagte er und wandte sich an Annette. »Ich sehe dich, wenn ich zurückkomme. Wenn du vor mir da bist, laß mir beim Portier eine Mitteilung zurück.«
Er zwang sich, dem Vertreter des Internationalen Vereins ein munteres Lächeln zu schenken, und fügte bei: »Gehen wir?«
Sie stiegen in den Wagen, der bereit stand, und fuhren weg.
»Es tut mir leid«, fing Herr Lieber an, »daß Sie mir nicht gesagt haben, Sie seien in Begleitung. Ich hoffe, die junge Dame, Mademoiselle Limoges, wird für den Vortrag von heute abend Karten verlangen und auch Karten für die andern, die Sie gerne mitbringen möchten.«
»Ich glaube«, sagte Scrivener, »Mademoiselle Limoges hat ihre Karten schon besorgt.«
»Gut. Ausgezeichnet. Hinterher werden wir natürlich Erfrischungen servieren. Mr. Scrivener, ich muß mich nun noch für gewisse Schwierigkeiten, die sich ergeben haben, entschuldigen. Da viele Leute im Augenblick in Ferien sind, und aus andern Gründen, die sich unserm Einfluß entziehen, hatten wir keinen Erfolg beim Verkauf von Karten für den zweiten Vortrag, den Sie freundlicherweise zu halten vorschlugen.
Der erste ist ausverkauft, aber der zweite…« Er brach ab, rosarot vor Verlegenheit, und blinzelte hinter seinen Brillengläsern.
»Ich verstehe sehr wohl«, sagte Scrivener. »Sie möchten den zweiten Vortrag absagen?«
»Das müssen natürlich Sie entscheiden«, sagte Herr Lieber schnell. »Es ist nur, der Saal wäre wahrscheinlich fast leer. Es wäre für Sie nicht sehr angenehm, Mr. Scrivener, und eine Verschwendung Ihrer kostbaren Zeit.«
»Dann müssen Sie natürlich absagen«, erwiderte Scrivener, und er stellte auf dem Gesicht seines Gefährten einen Ausdruck der Erleichterung fest. Sie kamen im Hotel an, und in wenigen Augenblicken war er der Mittelpunkt einer ernsthaften Gruppe.
Im allgemeinen diskutierte Robert Scrivener mit Fremden gerne die Verdienste, die er mit seinen Romanen erworben hatte. Heute aber langweilte ihn dieses Thema, ohne daß er dafür einen vernünftigen Grund gehabt hätte.
Er hörte sich Höflichkeit mit Höflichkeit beantworten, Gemeinplatz mit Gemeinplatz, und er aß sich einen Weg durch Gang um Gang von reichem, nahrhaftem Essen; aber sein Geist und sein Herz waren anderswo.
Auf welchem eisblauen Gipfel, so wunderte er sich, verlustierte sich wohl die leckere Annette Limoges mit dem sonnenverbrannten Alberto? Welche Bergerdbeeren fielen in ihre Münder? Welch schmelzender Schnee und welche Küsse?
»Ja, sicher«, antwortete er seiner Tischdame zur Rechten, »es
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