DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend
liegt an uns Schriftstellern, das Gewöhnliche zu bekämpfen, wo immer wir es finden. Wir müssen einen ständigen Kampf gegen jene Philister führen, die uns auf ihre Ebene der Mittelmäßigkeit hinunterziehen möchten. Ich habe vor, ebendieses Thema heute abend in meinem Vortrag zu berühren.«
Er beugte sein Ohr zu seinem Nachbarn zur Linken, der erklärte, das Kino habe die Werte der westlichen Welt zerstört.
»Sogar hier in Genf«, stellte sein Nachbar fest, »wo wir uns gerne rühmen, in unserer Mitte die besten Köpfe Europas zu vereinigen, muß Ihr zweiter Vortrag, Mr. Scrivener, aus Mangel an Nachfrage aufgegeben werden. Und zwei Straßen daneben schlagen sich die Leute darum, sich irgendeinen Unsinn aus Hollywood anzusehen. Ich nenne es Mord am Intellekt. Es gibt kein anderes Wort dafür.«
»Kein anderes Wort«, stimmte Scrivener bei, und als er heimlich auf die Uhr schaute, sah er, daß die Zeiger schon auf halb drei standen, und das Essen war schon seit halb eins im Gang.
Seine Gastgeber entließen ihn erst nachmittags um fünf Uhr. Nach dem Essen mußte er das Hauptquartier des Internationalen Schriftstellervereins besuchen und die Reihe der Manuskripte, die in seinen Händen waren, besichtigen.
Um vier Uhr gab es Tee, und man hatte das Mittagessen weder vergessen noch verdaut, und zum Tee erschien eine formelle Schlange von Neuankömmlingen, die anscheinend nicht namhaft genug gewesen waren, um am Essen teilzunehmen; aber jeder war darauf erpicht, Robert Scriveners Hand zu schütteln.
Es war nahe zu halb sechs, als der Schriftsteller ins Hotel »Mirabelle« zurückkam. Als er seinen Schlüssel verlangte, fiel ihm als erstes auf, daß dieser weg war. Man sagte ihm, daß Mademoiselle Limoges ihn vor etwa einer halben Stunde verlangt habe, und da er noch nicht zurückgebracht worden sei, müsse sie noch im Zimmer sein.
Scrivener klingelte nach dem Lift und eilte den Korridor entlang nach seinem Zimmer. Annette lag auf dem Balkon; sie hatte ihre Jeans mit verführerischen Shorts vertauscht. Große dunkle Gläser schützten sie vor der Sonne.
»Hallo«, rief sie, als Scrivener ins Zimmer trat. »Wir haben einen wunderbaren Tag gehabt. Alberto ist eben erst weggegangen; aber er wird gleich wieder zurück sein.«
Und wirklich fand er da über sein Zimmer verstreut Spuren davon, daß hier jemand anders gehaust hatte als er selbst. Ein aufs Bett geworfener Pullover. Ein Tablett mit Getränken. Seine Bücher umgestellt.
»Ich dachte, ihr seid in die Berge gefahren?« sagte er, zu sehr überrumpelt, um gegen diese Invasion zu protestieren.
»Wir gingen gar nicht«, erwiderte Annette. »Wir aßen am Rande der Stadt zu Mittag, und dann gingen wir lieber baden; es war so heiß. Der Wagen brachte uns an einen entzückenden Ort, den Alberto kannte, etwa fünfzehn Kilometer den See hinauf.
Wir kamen zurück. Ich konnte ihn nicht in mein Zimmer einladen, es hätte etwas seltsam ausgesehen; aber ich wußte, daß es dir nichts ausmachte, wenn wir hierherkämen. Alberto hat ein Bad genommen und ist nun gegangen, um sich für deinen Vortrag umzuziehen.«
Sie nahm ihre schwarze Sonnenbrille ab und lächelte zu ihm auf.
»Ich glaubte«, sagte Scrivener, »du wolltest deinen Freund nicht ins Hotel einladen, weil du Angst hast, es könnte ihn bei der Hoteldirektion in Schwierigkeiten bringen?«
»Wäre er in mein Zimmer gekommen, ja«, antwortete Annette. »Aber wie du dir wohl vorstellen kannst, kann Mr. Robert Scrivener nichts Unrechtes tun. In der Eingangshalle sind die Plakate für deinen Vortrag. Alberto und ich vergehen vor Ungeduld darauf.«
Ihr vergeht so, bemerkte Robert Scrivener zu sich selbst, daß er nicht einmal das Badetuch vom Boden auflesen oder die Korkmatte zum Trocknen aufstellen konnte.
Die matschigen Flecken von nassen Füßen waren noch immer drauf. Und die Seife, das Stück Seife, das er aus London mitgebracht hatte, war noch in der Wanne. Es stak halb vertilgt im gähnenden Abflußloch.
Mörderische Wut ergriff Scrivener. Sie stieg in seinem Hals auf und erstickte ihn beinahe. Er wandte sich vom Badezimmer ab und ging zum Balkon und starrte auf Annette Limoges hinunter, die eben dabei war, ihre Zehennägel mit einem leuchtenden Braunrot zu bemalen.
»Weißt du was?« schlug sie vor und tauchte den Pinsel in die Flasche mit parfümiertem Lack. »Wie wär's, wenn wir drei zusammen tanzen gingen, wenn dein Vortrag zu Ende ist? Alberto sagt, es gäbe einen wunderbaren Ort, auf der
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