DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend
Tisch, und der ältere Mann, der am frühen Abend der stolze Begleiter des Mädchens gewesen war, mußte nun die Rolle des geduldigen Onkels spielen oder, noch schlimmer, die des reinen Störenfriedes.
Es schien Robert Scrivener, sein Minderwertigkeitsgefühl werde vertieft durch ein instinktives Gefühl, daß der Bademeister sein Unbehagen merke und so verlegen sei wie er.
Der Schriftsteller wußte – und dieses Wissen verstärkte die Erniedrigung –, ließe Annette sie nun für einen Moment allein, so könnte er sich an Alberto wenden, ihm eine kleine Banknote über den Tisch schieben, und der Bademeister verstünde den Sinn gleich ohne ein Wort der Erwiderung. Er verschwände einfach. Wäre er einmal aus dem Weg, dann gehörte das Mädchen wieder ihm.
Und Scrivener erkannte, daß er in diesem Fall noch immer bereit wäre, die Ereignisse des Tages und seinen Groll auszulöschen; so sehr faszinierte ihn die Verkäuferin aus Zürich.
Er war nicht so blind anzunehmen, seine eigenen körperlichen Reize seien so fesselnd wie jene Albertos. Aber schließlich war das Mädchen nach Genf gekommen, um ihn zu treffen. Es war sogar sein Gast. Der Gast eines Mannes mit internationalem Ruf in der literarischen Welt, der mit einem Wink seiner Hand die Anbetung der schönen Frauen auf der Welt befehlen konnte. Aber konnte er es wirklich? Hier lag der verborgene Stachel.
»Ich weiß etwas, Robert«, brach Annette in seinen bitteren Gedankengang ein, »wenn du morgen vor dem Vortrag keine Verabredung hast, könnten wir alle drei miteinander den Tag in den Bergen verbringen.«
Seltsamerweise war dies ursprünglich vor dem Auftauchen des Bademeisters Scriveners Plan gewesen. Er hatte sich nach seinem Mittagessen mit dem Schweizer Literaten eine Fahrt in die Berge oder einen Ausflug an den See vorgestellt.
»Es tut mir leid«, sagte Scrivener, »aber ich habe eine Verabredung fürs Mittagessen.«
»O wie langweilig«, erwiderte Annette. »Aber wir könnten eigentlich auch ohne dich gehen.«
Sie drückte die Hand des Bademeisters, wie sie beim Nachtessen Scriveners Hand gedrückt hatte.
»Liebling, gelt, das würde dir gefallen? Robert wird uns einen Wagen bestellen, und wir können fortbleiben, bis es Zeit ist für den Vortrag. Und nachher können wir alle miteinander dinieren.« Alberto schaute seinen Gastgeber entschuldigend an. »Vielleicht hat Mr. Scrivener andere Pläne«, zweifelte er.
»O nein«, sagte Annette Limoges, »du hast keine, gelt, Robert.«
Der Schriftsteller fühlte sich plötzlich irritiert, weil sie ihn ständig beim Vornamen nannte. Noch nie hatte ihm sein Familienname Scrivener so süß in den Ohren geklungen, so voll Würde.
»Ich habe gar keine Pläne«, sagte er. »Ich bin in Genf, um zwei Vorträge zu halten. Ich bin wirklich ganz in den Händen des Veranstalters.«
»Nun, Einzelheiten können wir noch immer am Morgen verabreden«, sagte Annette. »Wichtig ist, daß wir alle drei glücklich sind.«
Der lange Abend neigte sich seinem Ende entgegen. Die Bar leerte sich, und wären nicht das Schicksal und Alberto dazwischengekommen, so hätten Scrivener und Annette lange vor dieser Zeit in weiß der Himmel welch süßer, langer Umarmung im Zimmer Nummer siebenundzwanzig oder einundfünfzig des Hotels »Mirabelle« gelegen.
»Der Barmann«, sagte Scrivener, »schaut uns an, als möchte er uns loswerden.« Die drei Unzertrennlichen erhoben sich, Scrivener bezahlte die letzte Runde, und sie gingen zum Hotel zurück, Annette Limoges zwischen dem Schriftsteller und dem Bademeister, bei jedem eingehängt.
»Das ist der Himmel«, sagte sie, »mit den zwei Männern zusammenzusein, die mir am meisten bedeuten.«
Keiner ihrer Begleiter antwortete.
An der Treppe des »Mirabelle« hielt Annette an. Sie ließ Scriveners Arm los, aber Alberto hielt sie noch immer fest.
»Ich spaziere noch mit Alberto bis ans Ende der Promenade«, sagte sie, und Scrivener sah, wie sie einen Blick nach den Reihen der Badehütten oder Umkleidekabinen warf, die nun diskret dunkel und still dastanden und für die der Bademeister sehr wahrscheinlich den Schlüssel hatte.
»Dann wünsche ich euch beiden eine gute Nacht«, sagte Scrivener.
Annette Limoges umfing ihn mit ihrem Lächeln. »Es war ein wundervoller Abend«, sagte sie, »ich weiß nicht, wie ich dir je danken soll.«
»Ich auch nicht«, dachte Scrivener. Er drehte den beiden den Rücken zu und ging ins »Mirabelle«, wo er von einem gähnenden Liftboy zum Zimmer
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