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Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Titel: Dumm gelaufen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
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Nordausgangs und blickt selbstvergessen in den Himmel. Etwas in ihm hofft noch immer auf den plötzlichen Überfall eines Savannenadlers. Sein halbes Leben hat er uns davor gewarnt, die Klauen zum Himmel erhoben: Eines Tages wird er kommen! Den Einwand, dass wir im Berliner Zoo leben, hat er ebenso lange ignoriert. Manchmal wünsche ich mir, es würde tatsächlich passieren – ein Savannenadler, der drohend über unserem Gehege seine Kreise zieht, um irgendwann herabzustoßen, sich eins meiner Geschwister (nach Möglichkeit aus dem vierten Wurf) zu krallen, mit jenseitigem Lachen und schwerem Flügelschlag aufschwingt und in die Sonne fliegt. Dann könnte Pa in Frieden abtreten, ein letztes »Ich hab es immer gewusst« auf den Lippen.
    Vom Zaun kommen aufgeregte Stimmen. Die ersten rotzverschmierten Kinder der neuen Saison sind eingetroffen. Dem Dialekt nach zu urteilen würde ich sagen: Süddeutschland, Klassenfahrt. Muss man sich nach der Winterpause auch erst wieder dran gewöhnen – durch den Zoo schlurfende Schulklassen, Lehrer mit hängenden Schultern, Lehrerinnen mit asymmetrischen Haarschnitten. Der Geruch erwachender Pubertät wabert über die Wege, gemischt mit wässrigem Kaffee und … Whiskey, Single Malt! Hallo Phil!
    Rufus und ich schlendern unauffällig zum Zaun hinunter und warten, bis die Schulklasse weitergezogen ist. »Hey, Partner, was ist mit deinem Kaschmiranzug passiert?«, frage ich als Erstes.
    Statt des babyblauen Strampelanzugs von gestern trägt Phil wieder das faltige Leinensakko, in dem er die meiste Zeit des vergangenen Jahres verbracht hat.
    Er verzieht einen Mundwinkel zu einem halben Schmunzeln. »Irgendwie beulte das so.«
    So, so. Es beulte also. Das ging schnell, denke ich. Am Ende bist du, was du bist. »Ist scheiß empfindlich«, pflichte ich ihm bei, »Kaschmir …«
    Phil setzt seine Sonnenbrille ab und verstaut sie in der Brusttasche. »Ich hab ein bisschen herumtelefoniert.«
    Schön für dich.
    »Ich fürchte, an dem Fall ist nichts dran«, erklärt er. »Die Rennleitung jedenfalls hat keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten finden können. Die haben Stardust aus versicherungstechnischen Gründen sogar von einem Sachverständigen untersuchen lassen. Ist aber nichts bei herausgekommen – außer dass er sich bei seinem Sturz alles Mögliche gebrochen und verrenkt hat.«
    »Die Zebras sind da anderer Ansicht. Zumindest die Stuten.«
    Das war Rufus, der für alle Fälle gleich mal sein Smartphone mitgebracht hat. Er hat inzwischen mitgeschnitten, dass es keinen guten Eindruck macht, wenn er während des laufenden Zoobetriebs mit Klettgurt und rosa Herzchenuhr im Freien herumläuft. Aber auf die Idee, dass manche Besucher auch ein Erdmännchen mit Smartphone ungewöhnlich finden könnten, ist er noch nicht gekommen.
    Mein Partner runzelt die Stirn: »Wie war das?«
    »Stuten«, wiederholt Rufus, »weibliche Pferde. Oder artverwandte Unpaarhufer.«
    »Ich weiß, was eine Stute ist«, sagt Phil, »ich meinte eher, wie die Zebras dazu kommen, eine Meinung dazu zu haben.«
    »Wir haben ihnen die Aufnahmen gezeigt«, Rufus macht ein Gesicht, als verstehe sich das von selbst. »Mehrfach. Die einhellige Meinung bei den St…«
    »Was für Aufnahmen?«
    Rufus schnalzt gelangweilt mit der Zunge und zeigt das Smartphone vor. Jetzt muss er Phil bereits die einfachsten Dinge erklären. »Die Aufnahmen des Rennens selbstverständlich, welche denn sonst?«
    »Und darf ich fragen, wie ihr an diese Aufnahmen gekommen seid?«
    Rufus geht einen Schritt auf Phil zu: »Die liegen auf dem Server der Rennleitung.«
    Mein Partner sieht Rufus an, legt den Kopf schief, sieht dann mich an:
Bedeutet das, was ich glaube, dass es bedeutet?
    »Er hat den Server gehackt«, bestätige ich.
    Phil reibt sich den Nacken. Dabei blitzt seine Millionärsuhr auf. Die hat er also noch nicht wieder abgelegt.
    »Ohne mein Licht unter den Scheffel stellen zu wollen«, fährt Rufus fort, »muss ich sagen, dass die Verschlüsselung, die von der Rennleitung benutzt wird, von jedem Realschulabsolventen hätte geknackt werden können.«
    Phil sieht ihn an: »Du hast einen Realschulabschluss?«
    Nachdem Rufus erklärt hat, dass der »Realschulabsolvent« selbstverständlich metaphorisch zu verstehen ist, sind wir wieder am Anfang: kein Hinweis auf Fremdeinwirkung, eine ehemalige Rennstute, die überzeugt ist, dass Stardust ermordet wurde, drei Zebrastuten, die überzeugt sind, dass zumindest eine fremde Macht im Spiel

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