Dumpfbacken
dann hatte sie sich aber getäuscht. Ich stellte mich neben die Tür und stürzte auf sie, sobald sie mit dem nächsten Koffer erschien.
»Du Miststück«, schrie ich sie an und stieß sie gegen die Wand im Treppenhaus. »Wie kannst du dein verlogenes Gesicht überhaupt noch im Spiegel angucken? Du hast mich an einen Verbrecher ausgeliefert, ohne mit der Wimper zu zucken.«
Statt schuldbewusst in die Knie zu gehen, schubste sie einfach zurück.
»Selbst Miststück. Du hast doch keine Ahnung von meinem Leben. Wage es nicht, über mich zu urteilen.«
»Was? Jetzt bin ich noch schuld, dass du mich verraten und verkauft hast? Ich brauche nichts über dein Leben zu wissen. Ich weiß genug über jemanden, der zu so etwas fähig ist.«
»Ach, da spricht die Prinzessin«, höhnte sie. »Toller Job, toller Freund, heile Familie, alles wie im Bilderbuch. Aber weißt du was? Es gibt auch Leute, die nicht alles in den Hintern geschoben kriegen. Leute, bei denen es einfach nur ums Überleben geht. Und die es sich nicht leisten können, die moralische Latte so hoch zu hängen, dass eine Giraffe darunter Lambada tanzen kann.«
Sprachlos starrte ich sie an. Vielleicht wusste ich wirklich nicht viel über ihr Leben. Aber nichts rechtfertigte ihre Aktion.
»Du hast doch nicht mehr alle Latten am Zaun. Steh wenigstens dazu, dass du ein verlogenes Miststück bist«, herrschte ich sie an.
»Lass mich einfach in Ruhe. Ich bin gleich weg, und du kannst dein rosarotes Leben weiterleben. Viel Spaß dabei«, sagte sie bitter.
So leicht würde sie mir nicht davonkommen.
»Oh nein. Du wirst dich wenigstens bei mir entschuldigen. Auch wenn es für dein Verhalten eigentlich überhaupt keine Entschuldigung gibt.«
»Geh mir nicht auf die Nerven. Lass mich jetzt durch.«
Die war wirklich nicht mehr ganz echt. Wenn sie mir schon keine Erklärung geben konnte, eine Entschuldigung würde sie wohl kaum umbringen. Warum hatte ich vorher eigentlich nicht gesehen, was für eine durchtriebene, bösartige Kuh sie war? Mir fiel im Moment nichts anderes ein als ein beliebter Spruch meiner Mutter.
»Du wirst schon sehen, was du davon hast. Der liebe Gott sieht alles.«
»Und dann?«, spottete sie. »Schickt Er mir dann eine Heuschreckenplage, die mir die Geranien vom Balkon frisst? Ich zittere ja vor Angst.«
Sprach’s, nahm ihre beiden Koffer und hastete die Treppe runter.
Ich blieb völlig baff zurück. Das hatte ich nun nicht erwartet. Hatte diese Frau nicht die Spur eines Gewissens? Und würde sie wirklich damit durchkommen? Auch wenn Schlüter meinte, es würde Aussage gegen Aussage stehen, mir würde schon etwas einfallen, um sie büßen zu lassen.
Allerdings hatte ich nun noch ein dringlicheres Problem. Nick würde bald kommen und bestimmt von mir wissen wollen, wie ich in die Sache mit Hollerbeck reingeraten war. Und besonders, warum er von dem ganzen Elend erst durch Schlüter erfahren musste. Hoffentlich war er nicht zu sauer. Dieser Tag steckte mir schon genug in den Knochen. Ich beschloss, erstmal eine lange Dusche zu nehmen, bis der ganze Dreck des Tages im Abfluss gelandet war. Danach zog ich mir weiße Spitzenunterwäsche an und Nicks Bademantel darüber. Man sollte immer auf alles vorbereitet sein.
Eine Stunde später kam er endlich. Seine Begrüßung beruhigte mich schon mal ein bisschen. Das war nicht einfach nur ein Kuss, das war schon ernsthaftes Geknutsche. Als er einmal Luft holen musste, drückte er mich noch fester an sich.
»Süße, ich hab schon von deinem Besuch bei Hollerbeck gehört. Aber ich bin erstmal nur froh, dass du das heil überstanden hast. Ich will im Moment eigentlich weder darüber nachdenken noch darüber reden. Ich bin fertig. Das war eine Scheißwoche.«
»Aber du hast einen tollen Job gemacht, ich bin so stolz auf dich. Und ich hab dich ganz schrecklich vermisst.« Mit diesen Worten ließ ich den Bademantel fallen. Wie gut, dass ich vorgesorgt hatte. An Nicks Gesicht konnte ich sehen, dass er jetzt erst recht nicht mehr über meine Verbindung zu Hollerbeck reden wollte. Langsam verzog sich sein Gesicht zu einem Lächeln. Manchmal sind Männer wirklich sehr simpel.
»Zeig mir mal, wie sehr du mich vermisst hast, Süße«, grinste er und schob mich ins Schlafzimmer.
Ich glaube, hinterher wusste er, dass ich ihn sehr, sehr vermisst hatte. Aber er fing doch noch mal mit dem leidigen Thema an. »Ich möchte, dass du mir das Ganze morgen in Ruhe erklärst. Aber jetzt will ich nur noch schlafen.«
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