Duncans Lady
erklärte sie achselzuckend: „Dafür, das zweite Gesicht zu haben. Seit ewigen Zeiten gibt es diese Gabe in unserer Familie. Manchmal wurden ein oder zwei Generationen übersprungen, aber es tauchte immer wieder auf. Meine Großmutter hatte das zweite Gesicht, aber sie starb, bevor ich geboren wurde. Meine Mutter versuchte, die Wahrheit vor mir geheim zu halten, aber meine Tante hat es mir erzählt, bevor sie starb. Ich bin nicht die erste MacTavish, die die Zukunft sehen kann. Aber vielleicht werde ich die letzte sein.“
„Warum solltest du?“
„Ich bin die Letzte aus unserer Familie. Meine Mum war ein Einzelkind, und ihre Tante hatte keine Kinder. Und ich habe ebenfalls weder Brüder noch Schwestern.“
„Du könntest Kinder bekommen.“
„Aber zuerst müsste ich einen Mann finden, der mit mir zusammen Kinder haben will.“
„Ein Mann, der keine Kinder von dir haben will, ist ein Dummkopf.“
„Ich war bereits einmal mit einem Dummkopf verheiratet. Es könnte sein, dass mir das noch einmal passiert. Obwohl das kein Risiko ist, das ich so einfach eingehen möchte.“
„Du wärst eine wunderbare Mutter.“
„Hast du das von Lisa auch gedacht?“
„Nein. Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt darüber nachgedacht habe.“
„Eine wunderbare Mutter sucht sich einen wunderbaren Mann. Eine Frau braucht Unterstützung, damit sie den Stürmen der Kindererziehung trotzen kann. Ein Mann ebenso.“
„Ich komme ganz gut allein zurecht.“
„Aber es fordert seinen Tribut, nicht wahr?“
Er wollte schon protestieren, doch dann grinste er. „Das habe ich beinahe vergessen. Ich sehe mal besser nach April.“
„Sie ist dort drüben.“ Mara deutete zum Schaf-pferch. „Ich habe sie gerade gesehen.“
„Dann machen Sie bitte mit Ihrer Führung weiter, Miss MacTavish.“
Sie zeigte ihm weitere Pflanzen, die sie später für ihre Duftkissen trocknen würde. Lavendel und Pollei-Minze, Gänsefingerkraut und, in einer abgelegenen Ecke des Gartens, Wermut. Von diesem Kraut hieß es, dass sein kräftiger Duft alle Pflanzen in seiner Nachbarschaft behindern würde.
Sie schritten an den Pflanzenreihen entlang, und sie deutete auf diejenigen, die sie zum Färben zog. April gesellte sich zu ihnen, und Mara bezog sie in ihre Erklärungen mit ein. „Dies hier ist Resede, das ergibt später ein kräftiges Gelb, und hier ist Färberwaid, aus dem blaue Farbe gewonnen wird. Diese hier …“, sie deutete auf ein paar Pflanzen mit filigranen Blättern, „… heißen Schmuckkörbchen. Die Blüten sind so hübsch, dass man Sträuße daraus binden könnte, aber ich benutze sie ebenfalls zum Färben. Das hier ist Spitzwegerich, und diese hier nennt man Mädchenauge, die bekommen wunderschöne gelbe Blüten.“ Sie deutete in die Ecke des Gartens, die ihnen gegenüber lag. „Und da wächst mein Abendessen für die nächsten Monate. Aber die Haut der Zwiebeln benutze ich auch zum Färben, ebenso wie die Stängel der Tomaten.“
„Können wir heute mit Zwiebeln färben?“, fragte April.
Mara zerzauste ihr das Haar. „Nein, heute färben wir mit Evernia. Weißt du, was das ist?“April schüttelte den Kopf. „Das ist eine Flechte. Sie wächst auf Felsen. Wir können nachher noch spazieren gehen, dann zeige ich dir welche. Es ist ein wunderbares Färbemittel, April. Man benutzt es für HarrisTweed, und es gibt der Wolle eine rostrote Farbe. Wusstest du, dass Fischer niemals Pullover aus rostroter Wolle tragen? Die Menschen in den Highlands sagen, dass die Flechten sich immer wieder den Weg zurück zu den Felsen suchen, von denen sie gekommen sind. Und die Fischer haben Angst, dass der Farbstoff der Flechten sie wie ein Stein untergehen ließe, wenn sie über Bord fallen würden.“
April machte große Augen. „Sind sie wirklich untergegangen?“
„Selten“, beruhigte Duncan sie.
Mara zeigte April, wie man Mist über die Kartoffelpflanzen im Gemüsegarten häufte und passte auf, als das Mädchen die sprießenden Schösslinge vorsichtig bedeckte. „Du hast es im Gefühl. Du wirst eine gute Gärtnerin werden. Im Gegensatz zu deinem Vater. Er sieht aus, als sei ihm ein Felsen auf den Kopf gefallen.“
Als sie wieder aus dem Garten heraus waren, schlenderte Duncan mit Mara zurück zum Haus, während April, mit den Hunden im Schlepptau, eine Handvoll frischer Schwarzwurz auszupfte, um damit drei kleine Lämmer in dem steinernen Pferch zu füttern. „Kaum zu glauben, dass man mit fast allen Pflanzen im Garten
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