Dune 01: Der Wüstenplanet
geführt, die er mit eigenen Augen noch nicht gesehen hatte. Er wußte viel von dem, was auf ihn zukam, aber das, was er jetzt erlebte, war das reale Jetzt. Sein Tod hing von Millionen Möglichkeiten ab, die er im Moment nicht zu übersehen vermochte.
Was nun geschieht, machte er sich klar, kann die Zukunft verändern. Es brauchte nur einer der Zuschauer seine Reaktion damit zu beeinflussen, indem er hustete. Jemand konnte einen unbedachten Schritt nach vorne machen, die Balance verlieren. Es brauchte sich nur die Intensität des Lichts zu verändern.
Ich habe Angst, dachte Paul.
Er umkreiste vorsichtig den gleitenden Jamis und dachte an die Litanei gegen die Furcht. »Die Furcht tötet das Bewußtsein ...« Es war wie eine kalte, erfrischende Dusche, als die Worte durch sein Gedächtnis zogen. Er spürte, wie seine Muskeln sich entkrampften, wie sie sich spannten und sich bereit machten zum Zuschlagen.
»Ich werde mein Messer in deinem Blut baden«, knurrte Jamis. In der Mitte des letzten Wortes griff er an.
Jessica, die seine Bewegung vorhersah, unterdrückte einen Aufschrei.
Dort, wo der Mann hingesprungen war, befand sich lediglich Luft, während Paul plötzlich hinter ihm auftauchte. Er brauchte Jamis die Klinge nur noch in den ungeschützten Rücken zu bohren.
Jetzt, Paul! Jetzt! schrie es in ihrem Geist.
Pauls Bewegungen waren gut aufeinander abgestimmt. Er stieß mit einer geschmeidigen Bewegung zu, aber so langsam, daß es für Jamis ein leichtes war, zur Seite zu springen und ihm auszuweichen.
Paul zog sich ebenfalls zurück. »Zuerst mußt du mein Blut finden«, sagte er.
Jessica erkannte deutlich, daß Pauls Bewegungen auf einen Menschen abgestimmt waren, der normalerweise einen Schild trug. Ihr wurde klar, daß das für ihn ein zweischneidiges Schwert war. Sein Vorgehen beruhte darauf, daß Schilde rasche Stöße abwiesen und langsam geführte Angriffe die Barriere durchdrangen. Auch wenn er in Höchstform war, würde sich dies für Paul als Nachteil erweisen.
Hat Paul das auch erkannt? fragte sie sich. Er muß es einfach einsehen!
Erneut griff Jamis an. Seine Augen blitzten, seine Gestalt wirkte wie eine im Schein der Leuchtgloben hin- und herzuckende Flamme.
Wieder entwischte Paul ihm und griff zu langsam an.
Und wieder.
Und wieder.
Jedesmal kam sein Konterschlag einen Augenblick zu spät.
Dann sah Jessica etwas, und sie hoffte inständig, daß es Jamis nicht auffiel: Paul parierte zwar jeden Angriff blitzschnell, aber sein Messer befand sich immer an genau der Stelle, die die richtige gewesen wäre, hätte ein Schild den Angriff abgelenkt.
»Spielt dein Sohn mit diesem Narren?« fragte Stilgar leise. Bevor sie ihm eine Antwort geben konnte, gab er ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dies nicht zu tun. »Tut mit leid, aber du mußt noch immer schweigen.«
Paul und Jamis begannen einander nun zu umkreisen. Jamis hielt das Messer ausgestreckt von sich, während Paul gebeugt dahinschlich, die Waffe gesenkt.
Jamis griff wieder an, und diesmal warf er sich nach rechts; in die Richtung, in die Paul beim letztenmal ausgewichen war.
Anstatt auszuweichen und sich zurückzuziehen, stieß Paul zu und traf die Hand des Angreifers mit der Spitze seiner Klinge. Dann war er plötzlich verschwunden und bewegte sich, der Warnung Chanis gemäß, nach links.
Jamis sprang in die Mitte des Ringes zurück und rieb seine Hand. Blut tropfte aus seiner Wunde. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Paul an. Er war unverkennbar wütend.
»Ah, das hat er gemerkt«, murmelte Stilgar.
Paul bewegte sich wie jemand, der einen Angriff plant, und rief seinem Kontrahenten, so wie man es ihm beigebracht hatte, zu: »Gibst du auf?«
»Hah!« schrie Jamis.
Die Männer begannen erregt zu murmeln.
»Ruhe!« schrie Stilgar. »Der Junge kennt nicht die Gesetze unseres Volkes.« Zu Paul gewandt, sagte er: »In einer Tahaddi-Herausforderung kann sich niemand ergeben. Dieser Kampf endet mit dem Tod eines Beteiligten.«
Jessica fiel auf, daß Paul schluckte. Und sie dachte: Er hat noch nie einen Menschen in einem Zweikampf getötet. Ist er überhaupt dazu in der Lage?
Paul wich langsam nach rechts aus, während Jamis ihm folgte. Erneut drangen die ihn umgebenden Wahrscheinlichkeitsfaktoren auf ihn ein. Sein neues Bewußtsein sagte ihm klar, daß er zu vielen Faktoren ausgesetzt war, um irgendeiner vorausberechneten Linie zu folgen.
Die Varianten waren unendlich – deswegen erschien ihm diese Grotte wie ein
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