Dune 01: Der Wüstenplanet
Ende setzen! Du bist ein hervorragender Schüler, aber ich kann dich nicht oft genug davor warnen, nicht einmal im Spiel einen Mann in deine Deckung eindringen zu lassen, wenn seine Hand den Tod bringen kann.«
»Ich glaube, ich habe heute einfach nicht die richtige Lust«, meinte Paul.
»Lust?« Hallecks Stimme klang sogar durch seinen Schild hindurch noch wütend. »Was hat Lust damit zu tun? Man hat zu kämpfen, wenn die Lage es erfordert, ob man Lust dazu verspürt oder nicht. Das Lustprinzip kannst du bei der Liebe anwenden oder beim Spielen des Balisets – aber doch nicht beim Kämpfen!«
»Tut mir leid, Gurney.«
»Aber nicht leid genug!«
Den eigenen Schild regulierend, das Kindjal in der ausgestreckten Hand, stürmte er vor. »Wehr dich«, rief er. Er sprang nach links, dann nach vorn und setzte zum Angriff an.
Paul wich zurück und parierte. Er hörte es knirschen, als die Schilde aufeinander prallten, fühlte das Summen elektrischer Entladungen auf der Haut. Was ist denn plötzlich mit Gurney los? Dies ist doch kein Spiel mehr! Paul bewegte die linke Hand, und der Bodkin glitt aus der Scheide und legte sich zwischen seine Finger.
»Nun merkst du endlich, wie wichtig eine zweite Klinge sein kann, wie?« ächzte Halleck.
Verrat? überlegte Paul. Aber doch nicht Gurney!
Sie bekämpften einander quer durch den großen Raum, angreifend und parierend, ausweichend und erneut aufeinander losgehend. Die Luft unter den Schilden wurde von Minute zu Minute schlechter, was daran lag, daß sie sich nicht erneuern konnte. Nach jedem neuen Zusammenprall der Schilde wurde der Ozonduft stärker.
Paul zog sich langsam zurück und näherte sich dabei dem Übungstisch. Wenn ich ihn an den Tisch heranlocken kann, dachte er, werde ich ihm einen Trick vorführen. Nur noch einen Schritt, Gurney!
Halleck machte ihn.
Paul ließ sein Rapier nach unten zischen und sah, daß Hallecks Waffe sich am Tischbein verfing. Paul wich zur Seite, riß das Rapier wieder hoch und war im gleichen Moment mit dem Bodkin dicht an Hallecks Kehle. Zwei Zentimeter von seiner Schlagader entfernt.
»Hast du darauf gewartet?« flüsterte Paul.
»Sieh nach unten, Bursche«, keuchte Halleck.
Paul gehorchte. Unter der Tischkante sah er Hallecks Waffe. Sie berührte fast seinen Unterleib.
»Wir wären beide umgekommen«, erklärte Halleck. »Aber ich sehe ein, daß du unter einem gewissen Druck weit besser kämpfst als sonst. Offenbar ist dir die Lust inzwischen doch gekommen.« Er grinste wölfisch, und die Narbe an seinem Kinn leuchtete.
»Du hast mir wirklich ganz ordentlich zu schaffen gemacht«, gab Paul zu. »Hättest du mich wirklich verletzt?«
Halleck zog das Kindjal zurück und richtete sich auf. »Ich hätte dir sicherlich eine Narbe beigebracht, wärst du zu faul gewesen, einen vollen Einsatz zu bringen. Ich möchte nicht, daß mein Schützling dem erstbesten dahergelaufenen Harkonnen zum Opfer fällt.«
Paul deaktivierte seinen Schild und lehnte sich gegen den Tisch, um den Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen. »Ich verstehe das, Gurney. Aber du hättest meinen Vater sicherlich gegen dich aufgebracht, wäre ich verletzt worden. Ich möchte nicht, daß man dich wegen meines Versagens bestraft.«
»Was diese Sache angeht«, erwiderte Halleck, »wäre das genauso mein eigenes Versagen gewesen. Außerdem brauchst du dir keine Sorgen über die eine oder andere Narbe zu machen, die man sich beim Training zuziehen kann. Und was deinen Vater betrifft: der Herzog wäre höchstens erbost darüber, wenn ich es nicht schaffen würde, aus dir einen erstklassigen Kämpfer zu machen. Und das wäre mir nicht gelungen, hätte ich so getan, als würden wir hier lediglich herumspielen.«
Paul erhob sich und steckte den Bodkin wieder in die Scheide zurück.
»Es ist wirklich kein Spiel, das wir hier treiben«, fügte Halleck hinzu.
Paul nickte. Er wunderte sich über die ungewöhnliche Ernsthaftigkeit Hallecks. Nachdenklich starrte er auf die breite Narbe am Kinn des Mannes und erinnerte sich daran, wie er zu ihr gekommen war: in einer Sklavenunterkunft der Harkonnens auf Giedi Primus. Und er fühlte einen Moment lang ein Gefühl der Scham, weil ihm während des Kampfes der Gedanke gekommen war, Halleck könne es ernst meinen. Eine solche Narbe konnte einem Menschen nur unter Schmerzen zugefügt werden, unter sehr starkem Schmerz, der zweifellos viel intensiver gewesen sein mußte als der, den er durch die Ehrwürdige Mutter erfahren hatte.
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