Dune 02: Der Herr des Wüstenplaneten
ein paar Floskeln zur Tarnung des eigentlichen Gesprächs verließ Irulan die Gefängniszelle.
Als sie wieder allein war, kehrte die Ehrwürdige Mutter zu ihren Tarockkarten zurück und legte sie neu aus. Sofort bekam sie den Kwisatz Haderach, und die Karte lag zusammen mit der Schiffsacht: die Sibylle täuschte und betrog. Diese Karten bedeuteten kein gutes Omen: sie sprachen von verborgenen Hilfsquellen für ihre Feinde.
Sie wandte sich von den Karten ab und kauerte vornübergebeugt mit geschlossenen Augen im Korbstuhl, bedrängt von sorgenvollen Gedanken.
8
Die Gläubigen sehen sie als die ›Erdengestalt‹, eine Halbgöttin mit Fruchtbarkeitsfunktionen und eine Art von Anti-Mentat. Dies verdankt sie zweifellos dem starken menschlichen Verlangen nach dem Mysteriösen. So gilt sie als der lebendige Beweis, daß das ›Analytische‹ Grenzen hat Sie verkörpert das Spannungsprinzip. Sie ist die Jungfrau-Hure, witzig und vulgär, lieblich und grausam, in ihren Launen destruktiv und unberechenbar wie ein Coriolis-Sturm.
Prinzessin Irulan über Alia Atreides
Alia stand wie eine schwarzgekleidete Wächtergestalt auf der Südplattform ihres Tempels im äußeren Ring der Zitadelle von Arrakeen.
Sie haßte diesen Teil ihres Lebens, sah aber keine Möglichkeit, dem Tempeldienst zu entgehen, ohne folgenschweres Unheil auf sich und ihren Bruder herabzubeschwören. Die Pilger wurden mit jedem Tag zahlreicher. Sie drängten sich unten auf dem Vorplatz, und durch die Massen der Andächtigen bewegten sich Devotionalienhändler, Wahrsager und Zauberer. Rote und grüne Päckchen mit Tarockkarten nahmen in den Bauchläden der ambulanten Händler einen hervorragenden Platz ein, wie Alia sah. Sie wunderte sich darüber. Wer überschwemmte den Markt von Arrakeen mit diesen Kartenspielen? Und warum war das Tarock in dieser Zeit und an diesem Ort plötzlich so in Mode gekommen? Hatte es den Zweck, die Zeit zu trüben? Melangesüchtigkeit brachte immer eine gewisse Sensibilität für seherische Phänomene. Die Bewohner von Arrakis waren als abergläubisch bekannt, und so mochte es kein Zufall sein, daß so viele von ihnen hier und jetzt in Vorbedeutungen, Omen und wundertätigen Dingen handelten. Aber sie beschloß, bei nächster Gelegenheit eine Antwort auf diese Erscheinung zu suchen.
Es wehte ein leichter Südost, abgeschwächt von der Gebirgsbarriere des Schildwalls, der den Südhorizont nahe heranrückte. Die Gipfel leuchteten gelb und grau durch einen dünnen Dunstschleier, den die Spätnachmittagssonne in rosa und purpurnen Tönen färbte. Der Wind fuhr ihr heiß ins Gesicht, heiß und staubig, voll von den Gerüchen der Wüste.
Allmählich begannen die Pilger sich aus dem Tempel zu verlaufen. Einzeln und in Gruppen gingen sie die breiten grünen Stufen hinab und wanderten langsam über den Vorplatz davon. Einige blieben bei den Ständen der fliegenden Händler stehen und betrachteten die Amulette, Andenken, Räucherkerzen, aber die Verkäufer räumten ihre Stände bereits ab. Pilger, Bettler, Händler, Wahrsager, Stadtbewohner und Nomaden – sie alle wanderten mehr oder weniger vereinzelt zum großen Tor der Zitadelle hinaus und verloren sich in der Palmenallee, die ins Herz der Stadt führte.
Alias Augen suchten die Fremen heraus, die Wüstenbewohner, leicht erkennbar am starren Ausdruck abergläubischer Ehrfurcht in ihren Gesichtern und der halbwilden Art, wie sie auf körperliche Distanz zu den anderen achteten. Diese Leute waren Alias Stärke und ihre Gefahr. Gewiß, viele waren in den bewässerten Gebieten seßhaft geworden und führten dort das Leben von Bauern, aber noch immer gab es Stämme, die den zurückweichenden Wüsten treu blieben. Und noch immer fingen diese hartnäckigen Nomaden Riesenwürmer für den Transport, für sportliche Wettkämpfe und für ihre Opferriten. Sie verabscheuten die Pilger von fremden Welten, verachteten den Zynismus, den sie in den Devotionalienhändlern sahen, schätzten die Stadtbewohner gering und betrachteten ihre seßhaft gewordenen Brüder mit neidischem Mißtrauen.
Als es auf dem Vorplatz leer geworden war, verließ Alia die Plattform und durchquerte den Tempel zu der Wendeltreppe, die in ihre Privatgemächer hinaufführte. In ihrem Reich aus tiefen Teppichen, Wandbehängen und Polstermöbeln angelangt, entließ sie die amazonenhaften Frauen, die Stilgar zu ihrem persönlichen Schutz abgestellt hatte und die sie selbst als lästige Bewacherinnen empfand. Nachdem
Weitere Kostenlose Bücher