Dune 02: Der Herr des Wüstenplaneten
Lichter.
Schweiß glänzte auf ihrer nackten Haut. Sie existierte in einer Welt, deren Dimensionen von der drohenden Degenspitze und dem Ziel eingegrenzt waren – Bewegung gegen Bewegung.
Angriff – parieren – kontern.
Sechs Lichter ... sieben ...
Acht!
Acht hatte sie noch nie riskiert.
Im Vernunftbereich ihres Geistes wuchs ein Widerstand gegen diese unvorsichtige Wildheit. Die Zielpuppe konnte nicht denken, konnte nicht Rücksicht nehmen oder Reue fühlen. Und sie führte einen wirklichen Degen. Eine unbewaffnete Trainingspuppe hätte dem Ausbildungszweck widersprochen. Diese Klinge konnte verletzen und töten. Kein Fechtmeister war so unvorsichtig, über acht Lichter hinauszugehen.
Neun!
Alia geriet in einen Zustand wilder Verzückung. Die Bewegungen von Zielpuppe und Degen waren nur noch verwischt wahrzunehmen. Alia fühlte, daß der Degen in ihrer Hand lebendig geworden war. Sie war ein Anti-Ziel. Sie führte den Degen nicht mehr; er führte sie.
Zehn!
Etwas flog an ihr vorbei, verlangsamte sich in der Wirkungszone des Energieschilds, drang durch und traf den Druckschalter. Die Lichter erloschen, die Zielpuppe schwang aus, kam zum Stillstand.
Alia fuhr herum, verärgert über die Einmischung, aber ihre Reaktion wurde von dem Bewußtsein der erstaunlichen Meisterschaft überlagert, mit der dieses Messer geworfen worden war.
Paul und Stilgar standen im Eingang zum Übungsraum. Ihres Bruders Augen waren zornig und verkniffen.
Alia wurde sich ihrer Nacktheit bewußt und dachte daran, sich zu bedecken, doch dann fand sie die Idee amüsant. Was die Augen der beiden gesehen hatten, konnte nicht ausgelöscht werden. Langsam ging sie zur Wand und hängte ihren Degen an den Haken.
»Du solltest wissen, wie gefährlich das war«, sagte Paul. Mißbilligend betrachtete er ihr gerötetes Gesicht, die schweißglänzende Haut. Sie war von einer beunruhigenden Weiblichkeit, die er im Zusammenhang mit seiner Schwester nie gesehen hatte. Er fand es seltsam, daß er eine ihm so nahestehende Person ansehen konnte, ohne sie in dem Identitätsrahmen wiederzuerkennen, der so unverrückbar und vertraut erschienen war.
»Das war Wahnsinn«, brumme Stilgar, aber sie sah Bewunderung in seinen Augen.
»Zehn Lichter!« sagte Paul kopfschüttelnd.
»Ich hätte es auf ein Dutzend gebracht, wenn du dich nicht eingemischt hättest«, sagte sie, unter seinem kritisch forschenden Blick langsam erblassend. »Wozu haben die Dinger so viele Lichter, wenn wir nicht versuchen dürfen, sie auszunützen?«
»Eine Bene Gesserit fragt nach dem Sinn hinter einem offenen System?« fragte Paul.
»Ich glaube, du hast nie mehr als sieben versucht!« sagte sie in neu aufflammendem Zorn. Seine kritische Aufmerksamkeit begann sie zu erbittern.
»Nur einmal«, antwortete er. »Halleck hinderte mich bei acht am Weitermachen. Seine Strafe war hinreichend peinlich, daß ich dir nicht sagen werde, was er tat. Und da wir schon von Peinlichkeiten sprechen ...«
»Nächstes Mal«, sagte sie bissig, »werdet ihr euch vielleicht ankündigen, bevor ihr hier eindringt.« Sie drehte sich um und ging in ihr Schlafzimmer, schlüpfte in einen Bademantel und begann vor dem Wandspiegel ihr Haar zu bürsten. Sie fühlte sich verschwitzt, mißmutig und matt, wünschte noch einmal zu baden ... und zu schlafen. »Warum seid ihr hier?« fragte sie durch die offene Tür.
»Herr«, sagte Stilgar. In seiner Stimme war eine merkwürdige Betonung, die Alia aufmerken ließ.
Paul und Stilgar kamen herein, und Paul sagte: »Wir sind auf Irulans Vorschlag gekommen, so komisch das erscheinen mag. Sie glaubt, und Informationen scheinen es zu bestätigen, daß unsere Gegner im Begriff sind ...«
»Herr«, sagte Stilgar, etwas schärfer.
Paul wandte sich fragend nach ihm um, und auch Alias Aufmerksamkeit richtete sich auf den alten Mann. Etwas an ihm machte ihr plötzlich bewußt, daß er in seinem Herzen ein Primitiver geblieben war. Stilgar glaubte an eine übernatürliche Welt, die ihm sehr nahe war und zuweilen in einer einfachen heidnischen Sprache zu ihm redete. Er lebte in einem natürlichen Universum, in dem alles wild und unaufhaltsam war.
»Ja, Stilgar?« sagte Paul. »Wollen Sie ihr erzählen, warum wir gekommen sind?«
»Dies ist nicht der Augenblick, die Gründe unseres Kommens zu erörtern«, sagte Stilgar.
»Was ist los, Stilgar?«
Stilgar machte eine leichte Kopfbewegung zu Alia. »Sind Sie blind, Herr?«
Ein Gefühl von Unbehagen überkam Paul, und
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