Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
sah Sabiha dort sitzen. Sein noch immer halbbetäubtes Bewußtsein erblickte sie als Skizze dessen, was seine Vision über sie offenbart hatte. Sie war in dem Alter, in dem eine Fremen bereits seit zwei Jahren verheiratet, zumindest aber verlobt war. Das bedeutete, daß ihre Familie sie für etwas aufsparte ... oder für irgend jemanden. Daß sie im heiratsfähigen Alter war, konnte niemand bezweifeln. Letos von der Vision verengte Augen erkannten in ihr das Abbild der terranischen Vergangenheit der Menschen: Sie hatte dunkles Haar und eine helle Haut. Ihre völlig blauen Augen wurden von Höhlen überschattet, die ihr einen grünen Glanz verliehen. Ihre Nase war klein, ihr Mund breit, ihr Kinn wie gemeißelt. Und sie war das lebendige Zeichen für ihn, daß man den Plan der Bene Gesserit hier in Jacurutu kannte oder zumindest vermutete. Hatte man sich erhofft, durch ihn eine Art pharaonenhaften Imperialismus wiederaufleben lassen zu können? Oder worauf sollte die Absicht, ihn mit der eigenen Schwester zu verheiraten, hindeuten? Natürlich könnte Sabiha das nicht verhindern.
Diejenigen, die ihn gefangenhielten, kannten also den Plan. Und wie hatten sie davon erfahren? Sie hatten seine Vision nicht geteilt. Sie waren nicht mit ihm dort gewesen, wo aus dem Leben eine sich bewegende Membrane wurde, die mit anderen Dimensionen korrespondierte. Die zurückwirkenden und sich im Kreise bewegenden Subjektivitäten der Visionen, die sich mit Sabiha beschäftigten, gehörten ihm, und zwar ganz allein.
Erneut klingelten die Wasserringe in ihrem Haar und brachten seine Visionen in Bewegung. Er wußte, wo er gewesen war und was er erfahren hatte. Nichts konnte das aus ihm herausstreichen. Er befand sich nicht in einer Sänfte auf dem Rücken eines großen Sandwurms, und das Geklingel stellte nicht die Untermalung von gesungenen Liedern der Reisenden dar. Nein ... Er war in einer Zelle in Jacurutu und hatte sich auf die gefährlichste aller Reisen eingelassen: Von der realen Welt der Sinne in die des Ahl as-sunna wal-jamas.
Was tat sie nur da. Sie saß nur herum und ließ die Wasserringe klingeln? Oh, ja. Sie mischte mehr von der Paste an, die ihn, wie sie glaubte, gefangenhielt. Nahrung, durchsetzt mit Gewürz, um ihn so lange in einem Halbleben zu halten, bis er entweder starb oder der Plan seiner Großmutter erfolgreich war. Und jedesmal, wenn er schon glaubte, gewonnen zu haben, schickte sie ihn zurück. Natürlich hatte Lady Jessica recht mit dem, was sie tat – die alte Hexe. Aber was nützte es ihr? Die totale Erinnerungskraft all jener Leben in ihm nützte ihm überhaupt nichts, solange er nicht dazu in der Lage war, die Daten zu organisieren und spontan abzurufen. Die Leben in seinem Innern hatten den Rohstoff der Anarchie dargestellt. Eines oder alle zusammen wären in der Lage gewesen, ihn zu überwältigen. Das Gewürz und seine Verwendung hier in Jacurutu waren ein reines Spiel der Verzweiflung gewesen.
Jetzt wartet Gurney auf das Zeichen, das ich mich weigere ihm zu geben. Wie lange wird seine Geduld noch währen?
Er starrte zu Sabiha hinüber. Sie hatte ihre Kapuze zurückgeschlagen und zeigte ihm so die Tätowierung ihrer Schläfen. Im ersten Augenblick erkannte er sie nicht gleich, aber dann wurde es ihm klar: Ja, Jacurutu lebte noch immer.
Leto wußte nicht, ob er seine Großmutter hassen sollte oder sich ihr gegenüber dankbar zeigen mußte. Sie wollte, daß er anfing, Instinkte zu entwickeln. Aber Instinkte waren nur Rassenerinnerungen, die einen lehrten, sich in Krisenzeiten zu behaupten. Die direkten Erinnerungen seiner inneren Leben vermochten jedoch viel mehr. Jetzt, wo er sie alle unter Kontrolle hatte, sah er eine Gefahr darin, sich Gurney zu offenbaren. Es gab keine Möglichkeit, daß Namri nicht auch davon erfuhr. Und Namri war ein anderes Problem.
Sabiha betrat den Raum. Sie trug ein Glas in den Händen. Es gefiel Leto, wie das von außen eindringende Licht Glanz auf ihrem Haar erzeugte. Sanft hob sie seinen Kopf und begann ihn zu füttern. Erst dadurch erkannte Leto, wie schwach er noch war. Er erlaubte es ihr, ihn zu füttern und dachte über das Gespräch mit Gurney und Namri nach. Sie glaubten ihm! Namri mehr als Gurney, aber selbst der alte Kämpfer konnte sich nicht gegen die Erkenntnisse äußern, die ihm seine eigenen Sinne schon über diesen Planeten mitgeteilt hatten.
Sabiha wischte Leto mit dem Saum ihrer Robe den Mund ab.
Ah, Sabiha, dachte er und sah jene andere Vision vor
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