Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
sich in der Winternacht wie große Schiffe über die Leere erheben. Mit ihnen als Zeugen lege ich meinen Eid ab: Ich will mit Entschlossenheit die Staatskünste meistern. Ich werde die mir vererbte Vergangenheit im Gleichgewicht halten und zu einem jederzeit abrufbaren Zentrum des Wissens machen. Jedoch werde ich mehr für meinen Gerechtigkeitssinn als für mein Wissen Bekanntheit erlangen. Mein Gesicht wird die Korridore der Zeit erleuchten, solange es Menschen gibt.
Letos Schwur,
nach Harq al-Ada
Als sie noch sehr jung gewesen war, hatte Alia oft Stunden in der Prana-Bindu- Tranceverbracht und versucht, ihre private Widerstandskraft gegen die Angriffe der Anderen zu stärken. Das Problem war ihr nicht unbekannt: man konnte der Melange nicht entkommen, solange man in einem Sietch lebte, denn sie war in nahezu allem enthalten, egal, ob es sich um Nahrungsmittel, Wasser, die Luft oder gar die Decken handelte, in die sie sich des Nachts einhüllte und weinte. Bereits sehr früh hatte sie mit den Sietch-Orgien Bekanntschaft gemacht, bei denen die Angehörigen des Stammes das Todeswasser eines Wurms tranken. Während dieser Orgien befreiten die Fremen ihre eigenen angesammelten genetischen Erinnerungen und warfen sie ab. Wie von einem inneren Druck befreit, ließen sie dann alle Schranken fallen.
Aber für Alia gab es eine solche Art der Befreiung nicht. Sie hatte das Bewußtsein bereits lange vor ihrer Geburt erlangt, und mit dieser Bewußtheit war ein kataklysmisches Erwachen gekommen, dem sie nicht entrinnen konnte. Eingeschlossen in den Leib ihrer Mutter, gab es für sie kein Entkommen aus der Umgebung der Personen ihrer gesamten Vorfahren, deren Erinnerungen durch die unvorsichtige Einnahme des Todeswassers durch ihre Mutter auf sie einstürmten. Noch bevor sie das Licht der Welt erblickt hatte, war Alia über alles informiert, was eine Ehrwürdige Mutter der Bene Gesserit wissen mußte. Und zusätzlich besaß sie noch all das, was die Anderen im Laufe der Zeit an Erfahrungen gesammelt hatten.
Mit diesem Wissen kam die Erkenntnis einer schrecklichen Tatsache: sie war verflucht. Und dieses Wissen hatte sie zerbrochen. Es gab keinen Weg zur Rettung für die Vorgeborenen, aber dennoch gab sie den Kampf gegen die eher erschreckenden Teile ihrer Vorfahrenreihe nicht auf und gewann sogar gelegentlich einen Pyrrhussieg über sie, der ihre Kindheit erträglich machte. Aber später war die zeitweise Immunität gegen die ständigen Versuche der Einflußnahme derjenigen, die durch sie weiterlebten, gewichen.
Und so werde auch ich mich eines Tages verhalten, dachte sie. Es erfüllte sie mit Schrecken: durch das Bewußtsein eines Kindes zu geistern, das ihr eigen Fleisch und Blut darstellte, in es einzudringen, es zu umklammern und es mit einem Quantum der eigenen Erfahrung zu belästigen.
Die Angst hatte sie die ganze Kindheit über begleitet. Sie war auch während der Pubertät dagewesen, aber sie hatte, ohne jemanden um Hilfe zu bitten, versucht, allein dagegen anzukämpfen. Hätte es überhaupt jemanden gegeben, der die Art der Hilfe, nach der sie verlangte, verstehen konnte? Auf keinen Fall ihre Mutter, die nach den Grundsätzen der Bene Gesserit zu urteilen gewohnt war und die Vorgeborenen für Abscheulichkeiten hielt.
Und dann war die Nacht gekommen, in der ihr Bruder allein in die Wüste hinausgegangen war, um den Tod zu suchen, den er in der Gestalt des Shai-Hulud anzutreffen hoffte. Er war gegangen, wie es sich unter den Fremen für einen Mann geziemte, der sein Augenlicht verloren hat. Noch im gleichen Monat hatte Alia sich mit Duncan Idaho verheiratet, einem Mentaten, den die Künste der Tleilaxu wieder zum Leben erweckt hatten. Er war Pauls Schwertmeister gewesen. Ihre Mutter hatte sich nach Caladan zurückbegeben. Aus Pauls Zwillingen waren Alias legale Mündel geworden.
Und außerdem war sie die Regentin.
Der Druck der Verpflichtungen hatte die alten Ängste für eine Weile weggeweht, und sie war ihren inneren Leben für die kurze Zeit entgegengetreten, verlangte nach ihrem Rat und versetzte sich in Gewürztrance, um nach Visionen zu suchen, die ihren künftigen Weg leiten sollten.
Die Krise war an einem Tag gekommen, der sich in nichts von vielen anderen unterschied. Im Frühling, an einem klaren Morgen im Monat des Laab, war sie in Pauls Kuppel gewesen, während ein kalter Wind vom Pol herabwehte. Noch immer hatte Alia den gelben Umhang der Trauer getragen, der gleichzeitig der Farbe der
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