Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
nur Tiere. Ein Mensch würde ausharren, seinen Schmerz verbeißen und sich totstellen, um den Jäger umzubringen, der ihn in diese Lage gebracht hat.«
Als könne sie den Schmerz der Erinnerung damit vertreiben, schüttelte Ghanima den Kopf. Es brannte! Wie es brannte! Paul hatte sich während der Prozedur vorgestellt, wie seine Haut langsam verschmorte, wie das Fleisch sich schwarz färbte und verbrannte, wie es abfiel, bis nur noch die nackten Knochen übrigblieben. Aber es war nur ein Trick gewesen, seine Hand war unverletzt. Dennoch konnte Ghanima nicht verhindern, daß sich ihre Stirn mit Schweißperlen bedeckte.
»Natürlich erinnerst du dich in einer Art an diese Geschichte, zu der ich nicht fähig bin«, sagte Jessica.
Einen Moment lang, angetrieben durch die Erinnerung, sah Ghanima ihre Großmutter in einem anderen Licht: Zu welchen Dingen mochte diese Frau aufgrund ihrer frühen Bene-Gesserit-Ausbildung fähig sein, wenn die Notwendigkeiten es erforderten? Und damit war sie wieder bei der dominierenden Frage: Was wollte sie auf Arrakis?
»Es wäre dumm, eine solche Prüfung an dir oder deinem Bruder zu wiederholen«, fuhr Jessica fort, »wo du bereits weißt, wie sie verläuft. Ich kann nicht anders vorgehen, als vorauszusetzen, daß du menschlich empfindest, daß du deine Kräfte nicht dazu verwenden willst, sie zu mißbrauchen.«
»Aber dein Glaube an diese Voraussetzung ist nicht unbegrenzt«, erwiderte Ghanima.
Jessica blinzelte, fühlte, daß die Barriere sich erneut über sie herabzusenken drohte, und schob sie erneut beiseite. Sie fragte: »Glaubst du mir, daß ich dich liebe?«
»Ja.« Als Jessica Anstalten machte, etwas zu sagen, hob Ghanima die Hand. »Aber deine Liebe für uns könnte dich nicht davon abhalten, uns zu vernichten. Oh, ich kann mir den Grund dafür gut vorstellen: ›Es ist besser, wenn die menschliche Animalität stirbt, als wenn sie die Chance erhält, sich weiter fortzupflanzen.‹ Und das trifft besonders dann zu, wenn die menschliche Animalität den Namen Atreides trägt.«
»Zumindest du bist menschlich«, platzte Jessica heraus. »In dieser Beziehung kann ich meinem Instinkt voll vertrauen.«
Ghanima, die erkannte, daß sie die Wahrheit sagte, erwiderte: »Aber was Leto anbetrifft – bist du dir nicht so sicher.«
»Das stimmt.«
»Abscheulichkeit?«
Jessica konnte nur nicken.
Ghanima sagte: »Das trifft jetzt noch nicht für ihn zu. Auch wenn wir beide die darin verborgenen Gefahren kennen. Alia gibt ein gutes Beispiel dafür ab.«
Jessica bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und dachte: Selbst Liebe kann uns vor unerwünschten Tatsachen nicht beschützen. Ihr wurde klar, daß sie ihre Tochter immer noch liebte, und als wolle sie damit gegen das Schicksal ankämpfen, weinte sie lautlos: Alia! Oh, Alia! Verzeihe mir wenigstens für den Teil den ich zu deiner Deformation beigetragen habe!
Ghanima räusperte sich laut.
Jessica ließ die Hände wieder sinken. Auch wenn ich jetzt meine arme Tochter beweinen sollte – es gibt im Moment wichtigere Dinge zu tun. Sie sagte: »Also habt ihr bereits erkannt, was mit ihr geschehen ist.«
»Leto und ich hatten keine andere Wahl, als zuzusehen, wie es passierte. Wir waren machtlos. Und wir fanden auch keinen Weg, ihr zu helfen, nachdem wir unzählige Möglichkeiten durchdiskutiert hatten.«
»Bist du sicher, daß dein Bruder nicht diesem Fluch unterworfen ist?«
»Ich bin sicher.«
Die Bestimmtheit, mit der sie diese Worte sprach, war nicht zu überhören. Jessica blieb nichts anderes übrig, als ihnen Glauben zu schenken. Schließlich fragte sie: »Wie seid ihr ihm entgangen?«
Ghanima erklärte ihr die Theorie, nachdem ihr Beschluß, an der Zeremonie der Gewürztrance nicht teilzunehmen, dafür ausschlaggebend sein mußte. Und sie sprach über die Träume, die Leto heimsuchten, die Pläne, die sie miteinander hatten, und sie erwähnte sogar Jacurutu.
Jessica nickte. »Trotz allem ist und bleibt Alia eine Atreides. Und das wirft enorme Probleme vor uns auf.«
Die plötzliche Erkenntnis, daß sie noch immer nicht über den Tod ihres Herzogs hinweggekommen war – als sei er erst gestern gestorben – und sie keinen Zweifel daran aufkommen ließ, daß sie seinen Namen gegen jegliche Beschmutzungen verteidigen wollte, brachte Ghanima zum Schweigen. Persönliche Erinnerungen des Herzogs durchdrangen plötzlich ihren Geist und erweckten für Jessicas Verhalten Verständnis.
»Und jetzt«, sagte Jessica mit
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