Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
gegangen, als er seinen letzten Weg in die Dünen antrat.
Leto starrte über die Felsenklippen auf die blühende Oase nieder. Obwohl die Abenddämmerung das, was sich unter ihnen ausbreitete, bereits verschluckt hatte, konnte er sich gut vorstellen, was seinen Blicken verborgen blieb: die Blüten, die in allen Farben des Spektrums leuchteten und den dahinfließenden Qanat zu beiden Seiten umschlossen. Jenseits der Felsen, die die Grenze der Oase bildeten, zog sich ein Ring dahin, den man aus Pflanzenabfällen und Wasser geformt hatte, eine Barriere aus Fäulnis, aus der bald neues Leben erwachsen würde.
Plötzlich sagte Ghanima: »Ich bin bereit. Laß uns beginnen.«
»Ja, verdammt!« Kurzentschlossen, um seiner Schwester zu zeigen, daß sein letztes Wort nicht ihr gegolten hatte, streckte Leto einen Arm aus und berührte ihre Hand. Mit weicher Stimme fügte er hinzu: »Bitte, Ghani ... sing dieses Lied. Es wird es leichter für mich machen.«
Ghanima rutschte näher an ihn heran und umschlang mit beiden Armen seine Hüften. Sie holte tief Luft, räusperte sich noch einmal und begann mit einer hellen, klaren Stimme jene Worte zu wiederholen, von denen sie wußte, daß ihre Mutter sie sehr oft im Angedenken an ihren toten Mann gesungen hatte.
»Ich kaufe nun das Pfand zurück,
Begieße dich mit süßem Wasser.
An diesem Ort der Windesstille
Wird fortan Leben gedeihen,
Durch dich, Geliebter, und deinen Palast.
Deine Feinde fallen der Leere anheim.
Wir gehen diesen Pfad zusammen,
Den die Liebe für dich geschlagen hat.
Ich laß dich die Wege schauen;
Der Palast ist meine Liebe.«
Dann tauchte ihre Stimme in der Stille der Wüste unter, und Leto spürte, wie er allmählich hinübersank – wie er zu seinem Vater wurde, dessen Erinnerungen nun alles andere zu überlagern begannen. Die Vergangenheit nahm Formen an.
Für eine kurze Zeit werde ich nun Paul sein, sagte er sich. Und es ist nicht Ghanima, die neben mir sitzt; es ist meine geliebte Chani, deren weiser Rat uns mehr als einmal das Leben gerettet hat.
Was Ghanima anbetraf, so war sie mit genau der furchtsamen Einstellung in die Persönlichkeit ihrer Mutter geschlüpft, die sie erwartet hatte. Um wieviel leichter war es doch für eine Frau im allgemeinen, so zu handeln – aber auch um wieviel gefährlicher.
Mit einer Stimme, die plötzlich rauh klang, sagte sie: »Schau nur, Geliebter!« Der Erste Mond war aufgegangen und im Schein seines kalten Lichts konnte man den Feuerstrahl eines Schiffes erkennen, das in den Weltraum aufstieg. Die Landefähre, die Lady Jessica gebracht hatte, startete, diesmal mit Gewürz beladen, und ging in den Orbit.
Die Erinnerungen überfluteten Leto und erzeugten in ihm den Klang heller, weithin hörbarer Glocken. Für einen kurzen Moment wurde er zu einem anderen Leto – zu Jessicas Herzog, doch die Notwendigkeit wischte diese Erinnerung beiseite. Es war nötig, sie zu vergessen, ehe der Schmerz zu groß in ihm wurde.
Ich muß zu Paul werden, redete er sich ein.
Die Transformation kam mit einer erschreckenden Zwiespältigkeit über ihn. Er sah sich plötzlich als einen dunklen Bildschirm, auf den das Abbild seines Vaters projiziert wurde. Ihm war bewußt, daß er nicht einen, sondern zwei Menschen repräsentierte, und das schwächte ihn.
»Hilf mir, Vater«, flüsterte er.
Die Bilder überlagerten sich. Dann veränderte sich die Szene abrupt. Während Leto die Stelle seines Vaters einnahm, entdeckte er, daß sein eigenes Abbild seitlich verschoben dastand und die Rolle eines unbeteiligten Beobachters einnahm.
»Meine letzte Vision ist noch nicht eingetroffen«, sagte er mit der Stimme Pauls. Er wandte sich Ghanima zu. »Du weißt, was ich gesehen habe.«
Ghanima berührte seine rechte Wange sanft mit der Hand. »Bist du in die Wüste gegangen, um zu sterben, Geliebter? Hast du das so gewollt?«
»Es mag sein, aber diese Vision ... Ist sie nicht Grund genug, das Leben weiterzuleben?«
»Aber ... blind?« fragte Ghanima.
»Selbst blind.«
»Wohin könntest du dich wenden?«
Er atmete tief ein und zitterte. »Jacurutu.«
»Geliebter!« Tränen liefen ihre Wangen hinab.
»Muad'dib, der Held – er muß zerstört werden«, sagte Leto. »Sonst wird das Kind uns nicht den Weg aus dem Chaos zeigen können.«
»Der Goldene Pfad«, erwiderte sie. »Es ist keine gute Vision.«
»Es ist die einzig mögliche.«
»Alia hat also versagt ...«
»Gänzlich. Es ist nicht mehr zu verbergen.«
»Deine Mutter ist zu
Weitere Kostenlose Bücher