Dune 04: Der Gottkaiser des Wüstenplaneten
offen, nahm diesen Ort jedoch schon nicht mehr wahr. Unerwartet zuckte sie zusammen und fing an zu zittern wie ein kleines, mit dem Tod ringendes Tier. Leto war dieser Zustand nicht unbekannt, aber er war nicht in der Lage, das geringste daran zu ändern. In ihrem Bewußtsein würde zwar nichts von den Geistern der Ahnen zurückbleiben, aber fortan würde sie auf eine andere Weise sehen, hören und riechen. Sie erlebte jetzt die Suchmaschinen und den Geruch von Blut und Eingeweiden, die zusammengekauerten Menschen in den Schützengräben, die nur wußten, daß es kein Entkommen mehr gab ... Und unentwegt kam das mechanische Stampfen näher. Es kam näher und näher und näher und wurde lauter und lauter und lauter.
Wo sie auch suchen mochte – sie würde überall auf das gleiche stoßen. Es gab kein Entkommen.
Er spürte, wie ihr Leben zerfloß. Kämpfe gegen die Finsternis, Siona! Ein Atreides tat das. Er kämpfte um sein Leben. Und nun kämpfte sie um Leben, die das ihre nicht waren. Er spürte, wie sie erlosch ... jedoch – da war ein schrecklicher Ausstoß von Vitalität. Sie ging tiefer und tiefer in die Finsternis hinein, viel tiefer als irgend jemand zuvor. Leto begann sie sanft zu schaukeln, indem er sein Frontsegment in Bewegung versetzte. Dies oder der dünne, heiße Faden der Bestimmung – vielleicht auch beides zusammen – setzte sich durch. Am frühen Nachmittag hatte sich ihr Körper in etwas hineingezittert, das nach echtem Schlaf aussah. Nur ein gelegentliches Keuchen Sionas widersprach dieser Sichtweise. Leto schaukelte sie sorgsam und wiegte sie hin und her.
Ob es möglich war, daß sie je aus diesen Tiefen zurückkehrte? Ihr Lebenswille gab ihm eine Antwort. Sie war wirklich ungeheuer stark!
Am Spätnachmittag wachte sie auf. Eine abrupte Ruhe überkam sie, dann veränderte sich ihr Atemrhythmus. Sie öffnete die Augen und schaute zu ihm auf, dann rollte sie sich aus der Hautfalte, wandte ihm fast eine Stunde lang den Rücken zu und dachte schweigend nach.
Moneo hatte sich nicht anders verhalten. Eine neue Verhaltensweise der Atreides. Einige ihrer Vorgänger hatten ihn mit einem Wortschwall überfallen. Andere hatten sich von ihm entfernt, waren stolpernd und glotzend über die Steine getaumelt, hatten sich gekrümmt und ihn gezwungen, ihnen zu folgen. Manche hatten sich hingehockt und den Boden angestarrt. Keiner hatte ihm den Rücken zugewandt. Leto deutete diese neue Entwicklung als hoffnungsvolles Zeichen.
»Du fängst an, eine Vorstellung davon zu entwickeln, welche Ausdehnung meine Familie hat«, sagte er.
Siona drehte sich um. Ihre Lippen formten eine feste Linie. Sie mied seinen Blick, aber er konnte erkennen, daß sie die Erkenntnis akzeptierte, wie sie nur von wenigen Menschen wahrgenommen werden konnte: Seine außergewöhnliche Vielzahl machte aus der gesamten Menschheit seine Familie.
»Du hättest meine Freunde im Wald retten können«, sagte sie anklagend.
»Auch du hättest sie retten können.«
Siona ballte die Hände zu Fäusten und preßte sie, während sie ihn ansah, gegen ihre Schläfen. »Aber du bist allwissend! «
»Siona!«
»Mußte ich es auf diese Weise erfahren?« flüsterte sie.
Leto schwieg und zwang sie so, sich ihre Frage selbst zu beantworten. Sie mußte zu der Erkenntnis gebracht werden, daß sein Primärbewußtsein in der Art der Fremen funktionierte – und daß ein Raubtier, wie die schrecklichen Maschinen jener apokalyptischen Vision, sich an die Fersen jeder Kreatur heften konnte, die Spuren hinterließ.
»Der Goldene Pfad«, sagte sie leise. »Ich spüre ihn.« Und dann, während sie ihn ansah: »Es ist so grausam!«
»Das Überleben ist stets grausam gewesen.«
»Sie konnten sich nicht verstecken«, flüsterte sie. Und dann, lauter: »Was hast du mit mir gemacht?«
»Du hast versucht, eine fremenitische Rebellin zu sein«, sagte er. »Die Fremen hatten die fast unheimliche Gabe, die Zeichen der Wüste lesen zu können. Sie konnten sogar noch die schwächsten, vom Winde verwehten Spuren erkennen.«
Er sah, daß sie allmählich Gewissensbisse bekam. Die Erinnerung an ihre toten Gefährten durchdrang ihr Bewußtsein. Leto sprach schnell, denn er wußte, daß sie bald Schuldgefühle entwickeln und sich dann in ihrem Ärger gegen ihn wenden würde. »Hättest du mir geglaubt, wenn ich dich einfach geholt und es dir erzählt hätte?«
Die Gewissensbisse drohten sie zu überwältigen. Siona öffnete hinter ihrer Maske den Mund und schnappte
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