Dune 04: Der Gottkaiser des Wüstenplaneten
deutlich sprechen konnte. Ihre Lippen waren schwarz und bluteten.
Sie hat den Durst der Verzweiflung, dachte Leto, während seine Sinne die Umgebung untersuchten. Sie wird den Augenblick der Krisis bald erreichen. Seine Sinne sagten ihm, daß sie am Rande dieser Ebene immer noch allein waren. Das Morgengrauen lag erst ein paar Minuten hinter ihnen. Das matte Licht erzeugte Barrieren aus Staubspiegelungen, die sich in dem unaufhörlichen Wind drehten, hoben und senkten. Seine Sinne schoben dem Wind einen Filter vor, damit er auch andere Dinge hören konnte – Sionas schwere Atemzüge, das Zusammenfallen einer kleinen Sandwehe auf den neben ihnen liegenden Felsen und seinen massigen Leib, der an der dünnen Sanddecke schabte.
Siona zog die Gesichtsmaske zwar beiseite, hielt sie aber fest, um sie jederzeit wieder an ihren Platz schieben zu können.
»Wie lange noch, bis wir auf Wasser stoßen?« fragte sie.
»Drei Nächte.«
»Könnten wir nicht in eine andere Richtung gehen?«
»Nein.«
Sie hatte die Sparsamkeit der Fremen mittlerweile zu schätzen gelernt. Gierig trank sie ein paar Tropfen aus ihrer Fangtasche.
Leto studierte ihre Körpersprache – deutbare Gesten für einen Fremen in extremis. Siona war sich nun einer Erfahrung ihrer Ahnen voll bewußt geworden – dem Patiyeh, dem Durst im Angesicht des Todes.
Die paar Tropfen, die ihre Fangtasche enthielt, waren verbraucht. Leto hörte, daß sie Luft einsaugte. Dann legte sie die Maske wieder an und sagte mit gedämpfter Stimme: »Ich werde es nicht schaffen, was?«
Leto blickte in ihre Augen und sah, daß die Nähe des Todes ihre Gedanken so klar gemacht hatte wie nie zuvor. Sie spiegelten eine nur selten vorkommende Bewußtheit wider. Was nur das verstärkte, was zum Überleben erforderlich war. Ja, sie war schon mittendrin im Tedah ri-Agrimi, jener Agonie, die einem das Bewußtsein öffnete. Bald würde sie jene Entscheidung treffen müssen, die sie bereits getroffen zu haben glaubte. Leto erkannte an diesem Zeichen, daß er Siona von nun an mit äußerster Sorgfalt behandeln mußte. Er würde jede ihrer Fragen mit Aufrichtigkeit beantworten müssen, da hinter jeder Frage eine Einstellung lauerte.
»Nun?« fragte sie mit Nachdruck.
In ihrer Verzweiflung war noch immer ein Hoffnungsschimmer.
»Gewiß ist nichts«, sagte Leto.
Das machte sie nur noch verzweifelter.
Es war zwar nicht Letos Absicht gewesen, aber er wußte, daß so etwas oft passierte: Eine akkurate, wenn auch zweideutige Antwort wurde als Bestätigung der schlimmsten Ängste gewertet, die in einem schlummerten.
Siona seufzte.
Ihre von der Maske gedämpfte Stimme sprach ihn erneut an: »Dein Zuchtprogramm sah für mich etwas Besonders vor.«
Das war keine Frage.
»Jeder hat irgendwelche Absichten«, sagte Leto.
»Aber du wolltest, daß ich mich damit voll einverstanden erkläre.«
»Das stimmt.«
»Wie konntest du nur an meine Zustimmung glauben, wo du doch wußtest, daß ich alles an dir hasse? Sei ehrlich!«
»Die drei Standbeine der Übereinstimmung heißen Ersuchen, Daten und Ungewißheit. Fehlerlosigkeit und Ehrlichkeit haben damit nur wenig zu tun.«
»Bitte, fang keinen Streit mit mir an! Du weißt, daß ich sterben werde.«
»Ich respektiere dich viel zu sehr, um mich mit dir zu streiten.«
Dann hob Leto vorsichtig seine Frontsegmente an, um den Wind zu prüfen. Er trug bereits die Tageshitze mit sich, aber im Moment enthielt er noch zuviel Feuchtigkeit, als daß Leto ihn hätte schätzen können. Das erinnerte ihn daran, daß es immer größerer Kontrollen bedurfte, um das Wetter nach seinen Wünschen zu kontrollieren. Absoluta brachten ihn nur den Unbestimmtheiten näher.
»Du sagst, du streitest dich nicht, aber ...«
»Streitigkeiten blocken einen nur vom gesunden Menschenverstand ab«, sagte Leto und kehrte wieder auf den Boden zurück. »Sie verschaffen der Gewalt ein Alibi. Wenn Streitigkeiten zu lange dauern, führen sie stets zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Was dich angeht – dir gegenüber habe ich keine derartigen Absichten.«
»Was meinst du damit – Ersuchen, Daten, Ungewißheit?«
»Ein Ersuchen bringt die, die es angeht, zusammen. Daten begrenzen ihren Dialog. Ungewißheit umgibt ihre Fragen.«
Sie kam näher, um aus einer Entfernung von weniger als einem Meter forschend in sein Gesicht zu blicken.
Wie komisch es doch war, fiel Leto ein, daß sich Haß und Ablehnung vollständig mit Hoffnung, Angst und Ehrfurcht mischen
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