Dune 05: Die Ketzer des Wüstenplaneten
nicht einmal in den fernsten Machtbereichen des Tleilaxu-Yaghist, gab es einen lebenden Powindah, der dieses Geheimnis kannte.
Yaghist, dachte Waff, als er sich von seiner Bank erhob, das Land derer, die niemand beherrscht.
Er glaubte, das Dokument in seiner Hand vibrieren fühlen zu können. Dieses Atreides-Manifest war genau das Richtige. Die Powindah-Massen würden ihm blindlings in den Untergang folgen.
6
An manchen Tagen ist es Melange, an anderen nur bitterer Dreck.
Rakis-Aphorismus
In ihrem dritten Jahr bei den Priestern von Rakis lag das Mädchen Sheeana ausgestreckt auf dem Kamm einer abschüssigen Düne. Sie spähte in die morgendliche Ferne, wo jetzt ein gewaltiges, rumpelndes Beben erklang. Das Licht war gespenstisch silbern und ließ den Horizont wie verschleierten Nebel erscheinen. Noch immer lag die Kälte der Nacht auf dem Sand.
Sie wußte, daß die Priester sie aus der Sicherheit ihres von einem Wassergraben umzogenen Turms beobachteten. Etwa zwei Kilometer trennten sie, aber das störte sie wenig. Der bebende Sand unter ihr verlangte ihre ganze Aufmerksamkeit.
Es ist ein großer, dachte sie. Mindestens siebzig Meter lang. Ein herrlich Großer.
Der graue Destillanzug legte sich glatt und weich um ihre Haut. Im Gegensatz zu dem Modell aus zweiter Hand, das sie getragen hatte, bevor die Priester sie in ihre Obhut genommen hatten, wies er keinerlei abgenutzte Stellen auf. Sie war ihnen dankbar für den schönen Destillanzug und die feste, weiß-purpurne Robe, die ihn verdeckte, aber am meisten genoß sie das aufregende Erlebnis, hier zu sein. In Augenblicken wie diesen erfüllte sie etwas Reiches und Gefährliches.
Die Priester verstanden nicht, was hier geschah. Das wußte sie. Die Priester waren Feiglinge. Sie warf einen Blick über die Schulter, musterte den fernen Turm und sah, daß sich das Sonnenlicht auf ihren Ferngläsern spiegelte.
Sie war ein frühreifes Kind von elf Standardjahren, schlank und dunkelhäutig, mit von der Sonne gebleichtem Haar, und sie konnte sich lebhaft vorstellen, was die Priester durch ihre Ferngläser erblickten.
Sie sehen mich das tun, was sie selbst nicht wagen. Sie sehen mich auf dem Pfade Shaitans. Ich sehe auf dem Sand sehr klein aus, und Shaitan sehr groß. Sie können ihn schon sehen.
Das knirschende Geräusch sagte ihr, daß auch sie den riesigen Wurm bald sehen würde. Für Sheeana war das sich nähernde Ungeheuer keinesfalls der Shai-Hulud, der Sandgott, das Ding, das die Priester jeden Morgen besangen, um die Perle des Geistes von Leto II. zu ehren, die verkapselt in jedem der vielgefürchteten Herrscher der Wüste existierte. Für sie waren die Würmer hauptsächlich »die, die mich verschont haben« – oder Shaitan.
Sie gehörten jetzt ihr.
Ihre Beziehung hatte vor knapp drei Jahren begonnen, im Monat ihres achten Geburtstages – nach dem alten Kalender im Monat Igat. Sie hatte in einem armen Dorf gelebt, einem Außenposten, der hinter weit weniger sicheren Barrieren lag als Keen mit seinen Qanats und Ringkanälen. Orte wie dieser wurden höchstens von einem feuchten Sandgraben geschützt. Shaitan mied das Wasser, aber der Sandforellenvektor nahm jede Feuchtigkeit schnell auf. Man mußte die kostbare Feuchtigkeit in Windfallen auffangen, um die Barriere jeden Tag zu erneuern. Ihr Dorf war eine elende Ansammlung von Schuppen und Ställen. Es gab dort nur zwei Windfallen, die gerade genug Trinkwasser – und hin und wieder einen kleinen Überschuß – erzeugten. Den verwendete man für die Wurmbarriere.
An jenem Morgen – er war dem heutigen sehr ähnlich gewesen mit seiner schwindenden Nachtkälte, die sie in Nase und Lungen gespürt hatte, während ein gespenstischer Nebel den Horizont einhüllte – waren die meisten Dorfkinder in die Wüste hinausgegangen, um dort nach Melangebruchstücken zu suchen, die Shaitan manchmal auf seinem Weg zurückließ. Während der Nacht hatten sich zwei große Würmer in der Umgebung aufgehalten. Melange konnte den Dorfbewohnern – auch in Anbetracht der momentan deflationären Preise – dazu verhelfen, die glasierten Ziegel zu kaufen, die man benötigte, um eine dritte Windfalle aufzustellen.
Jedes der suchenden Kinder hielt aber nicht nur Ausschau nach Melangespuren, sondern auch nach Anzeichen, die auf die Gegenwart einer Sietch-Festung der alten Fremen hinwiesen. Es gab zwar nur noch Überbleibsel solcher Orte, aber deren Felsbarrieren boten eine größere Sicherheit gegen Shaitan. Und
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