Dune 05: Die Ketzer des Wüstenplaneten
beobachteten einen, wenn man in der Stadt war. Wenn man die Linsen aufblitzen sah, war dies das Zeichen, unauffällig zu werden, »brav« zu sein.
Sheeana faltete die Hände, damit sie aufhörten zu zittern. Sie sah nach rechts, dann nach links, und dann auf die unterwürfigen Priester. Irgend etwas stimmte hier nicht.
Die beiden Priester lagen mit dem Gesicht im Sand, bebten vor Angst und warteten ab. Keiner sagte ein Wort.
Sheeana wußte nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Ein achtjähriges Kind wie sie konnte mit dem urplötzlichen Zusammenbruch all ihrer Erfahrungen nicht fertigwerden. Sie wußte, daß ihre Eltern und Nachbarn vom Shaitan geholt worden waren. Sie hatte es mit eigenen Augen gesehen. Und Shaitan hatte sie hierhergebracht, hatte sich geweigert, sie mit seinem abscheulichen Feuer zu verschlingen. Sie war verschont geblieben.
Dies war ein Wort, das sie verstand. Verschont. Man hatte es ihr erklärt, als sie das Tanzlied gelernt hatte.
»Shai-Hulud, verschone uns!
Hole Shaitan zurück ...«
Langsam, um die unterwürfigen Priester nicht aufzuschrecken, begann Sheeana mit den schleifenden, arhythmischen Bewegungen des Tanzes. Während die Melodie in ihrem Innern immer deutlicher wurde, löste sie die Hände wieder voneinander und schwang beide Arme durch die Luft. Ihre Füße hoben sich, machten eindrucksvolle Bewegungen. Ihr Körper drehte sich, erst langsam, aber dann immer schneller, und die Ekstase des Tanzes nahm zu. Ihr langes, braunes Haar peitschte in ihr Gesicht.
Endlich wagten es die beiden Priester, den Kopf zu heben. Das seltsame Kind tanzte den Tanz! Sie erkannten die Bewegungen: Es war der Tanz der Versöhnung. Sie bat Shai-Hulud um Vergebung für sein Volk. Sie bat Gott, ihnen zu vergeben!
Die beiden wandten sich um und sahen einander an. Dann erhoben sie sich gemeinsam auf die Knie und fingen rhythmisch an zu klatschen, um die Tänzerin zu begleiten. Ihre Hände machten die gleichen Bewegungen, als sie die uralten Worte sangen:
»Unsere Väter aßen Manna in der Wüste,
an den brennenden Orten der Wirbelstürme!«
Die Priester konzentrierten sich nur noch auf das Kind. Es war ein mageres Ding, das sahen sie, und es hatte zähe Muskeln und dünne Arme und Beine. Das Gewand und der Destillanzug des Mädchens waren abgetragen und schäbig – wie die Kleidung der Ärmsten. Ihre Wangenknochen waren so hoch, daß sie Schatten über ihre olivfarbene Haut warfen. Ihnen fiel auf, daß sie braune Augen hatte. Da und dort hatte die Sonnenbestrahlung ihr Haar zu rötlichen Strähnen gebleicht. Die Schärfe ihrer Züge zeigte, daß sie sparsam mit Wasser umgegangen war. Nase und Kinn waren schmal, sie hatte eine hohe Stirn, einen breiten, dünnlippigen Mund und einen langen Hals. Sie sah aus wie die Porträts der alten Fremen im heiligsten aller Heiligtümer von Dar-es-Balat. Natürlich! Genauso mußte das Kind des Shai-Hulud aussehen.
Und sie tanzte gut. Nicht der kleinste wiederholbare Rhythmus schlich sich in ihre Bewegungen ein. Sie hatte Rhythmus, aber er war von einer bewundernswerten Vielfalt. Und während die Sonne höher und höher kletterte, behielt sie ihn bei. Es war beinahe Mittag, als sie erschöpft in den Sand fiel.
Die Priester standen auf und schauten in die Wüste hinaus, in der Shai-Hulud verschwunden war. Das Gestampfe des Tanzes hatte ihn nicht zurückgerufen. Also war ihnen vergeben.
Und damit fing Sheeanas neues Leben an.
Viele Tage lang dauerte der Disput, in dem die Seniorpriester sich erregten. Sie waren laut, diskutierten aber in ihren Quartieren. Schließlich brachten sie ihre Berichte und Argumente vor den Hohepriester Hedley Tuek. Sie trafen sich an einem Nachmittag im Kleinen Versammlungssaal – Tuek und sechs priesterliche Ratsmitglieder. Wandmalereien, die Leto II. darstellten – ein menschliches Gesicht mit der Gestalt eines großen Wurms –, schauten wohlwollend auf sie herab.
Tuek nahm auf einer Steinbank Platz, die man aus dem Windkluft-Sietch geborgen hatte. Muad'dib hatte den Legenden zufolge selbst einst auf ihr gesessen. Eins der Beine zeigte immer noch den eingemeißelten Atreides-Falken.
Seine Berater nahmen mit weniger wertvollen Bänken vorlieb, um ihm gegenüber Platz zu nehmen.
Der Hohepriester war von imposanter Gestalt; seidiggraues Haar hing glattgekämmt auf seine Schultern herab. Es war ein passender Rahmen für sein viereckiges Gesicht mit dem breiten, massigen Mund und dem schweren Kinn. Tueks Augen hatten
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