Dune 06: Die Ordensburg des Wüstenplaneten
Wüstenwaise behalte ich trotzdem im Auge.
»Welchen Preis hat ein guter Ruf, Bell?« fragte Odrade.
Bellonda nahm diesen Schlag schweigend hin. Die Zunftsprache der Bene Gesserit kannte eine heimliche Definition der Respektabilität. Sie alle wußten davon.
»Sollen wir das Andenken an Lady Jessica wegen ihrer Menschlichkeit ehren?« fragte Odrade. Sheeana ist überrascht!
»Jessica hat die Schwesternschaft in Gefahr gebracht!« Bellonda klagt an.
»Sei deinen Mitschwestern treu«, murmelte Tamalane.
»Unsere altertümliche Definition von Respektabilität trägt dazu bei, daß wir menschlich bleiben«, sagte Odrade. Hör gut zu, Sheeana!
Sheeanas Stimme war nur noch ein leises Flüstern, als sie sagte: »Wenn wir das verlieren, verlieren wir alles.«
Odrade unterdrückte einen Seufzer. Das ist es also!
Sheeanas Blick traf den ihren. »Du instruierst uns natürlich.«
»Zwielichtgedanken«, murmelte Bellonda. »Vermeiden wir sie lieber.«
»Taraza hat uns ›Bene Gesserit der Letzten Tage‹ genannt«, sagte Sheeana.
Odrades Stimmung wurde selbstbezichtigend.
Das Verhängnis unserer gegenwärtigen Existenz. Sinistre Phantasien können uns vernichten.
Wie leicht es doch war, eine Zukunft heraufzubeschwören, die sie aus den funkelnd roten Augen der berserkerhaften Geehrten Matres ansah. Ängste zahlreicher Vergangenheiten duckten sich in Odrades Innerem, atemlose Momente, die sich auf die Fänge konzentrierten, die mit solchen Augen einhergingen.
Odrade richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das gegenwärtige Problem. »Wer wird mich nach Kreuzweg begleiten?«
Sie wußten, welch haarsträubende Erfahrungen Dortujla dort gemacht hatte. Inzwischen wußte es die ganze Ordensburg.
»Wer mit der Mutter Oberin geht, muß damit rechnen, den Futar zum Fraß vorgeworfen zu werden.«
»Tam«, sagte Odrade. »Du und Dortujla.« Und das ist möglicherweise ein Todesurteil. Der nächste Schritt ist offensichtlich. »Sheeana«, sagte Odrade, »du wirst mit Tam Teilen! Dortujla und ich Teilen mit Bell. Ich werde außerdem noch mit dir Teilen, bevor ich gehe.«
Bellonda war bestürzt. »Mutter Oberin! Ich bin nicht darauf eingerichtet, deinen Platz einzunehmen!«
Odrade ließ Sheeana nicht aus den Augen. »Das meine ich damit auch nicht. Ich will dich einfach zum Speicher meiner Leben machen.« Auf Sheeanas Gesicht zeigte sich deutlich Furcht, aber sie wagte es nicht, sich einem direkten Befehl zu widersetzen. Odrade nickte Tamalane zu. »Wir machen es später. Du und Sheeana, ihr macht es jetzt!«
Tamalane beugte sich Sheeana entgegen. Ihr hohes Alter und ihr sehr bald zu erwartender Tod machten es für sie zu einer willkommenen Angelegenheit, aber Sheeana zuckte unwillkürlich zurück.
»Jetzt!« sagte Odrade. Soll Tam beurteilen, was du vor uns verbirgst.
Es gab keinen Ausweg. Sheeana neigte Tamalane den Kopf entgegen, bis sie einander berührten. Der Austauschblitz war elektrisch und wurde im gesamten Speisesaal wahrgenommen. Die Gespräche verstummten, alle Blicke wandten sich dem Tisch am Fenster zu.
In Sheeanas Augen waren Tränen, als sie sich zurückzog.
Tamalane lächelte und berührte Sheeanas Wangen tröstend mit beiden Händen. »Es ist schon vorbei, Liebste. Wir haben alle diese Ängste, und manchmal treiben sie einen dazu, närrische Dinge zu tun. Aber ich schätze mich glücklich, dich Schwester zu nennen.«
Sag's uns, Tam! Jetzt!
Tamalane entschied sich anders. Sie sah Odrade an und sagte: »Wir müssen unsere Menschlichkeit um jeden Preis bewahren. Deine Lektion ist wohl angekommen, du hast Sheeana bestens belehrt.«
»Wenn du mit Sheeana teilst, Dar«, sagte Bellonda, »könntest du dann nicht den Einfluß reduzieren, den sie auf Idaho hat?«
»Ich werde keine potentielle Mutter Oberin schwächen«, sagte Odrade. »Danke, Tam. Ich glaube, wir werden unseren Vorstoß nach Kreuzweg ohne überschüssiges Gepäck wagen. Das wär's! Ich möchte heute abend einen Bericht über Tegs Fortschritte. Seine Klette ist zu lange von ihm fort gewesen.«
»Wird er erfahren, daß nun zwei Kletten an ihm hängen?« fragte Sheeana.
Welche Freude aus ihr spricht!
Odrade stand auf.
Wenn Tam sie akzeptiert, muß ich es auch tun. Tam würde die Schwesternschaft niemals betrügen. Und Sheeana – ausgerechnet sie – repräsentiert die natürlichen Charaktereigenschaften unserer menschlichen Wurzeln am meisten. Trotzdem ... Ich wünschte, sie hätte diese Statue, die sie ›Die Leere‹ nennt, niemals
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