Dune 06: Die Ordensburg des Wüstenplaneten
begab sich an das Bogenfenster. Die Ordensburg glühte blaßrot in der Nacht, was an den Bodenleuchten lag, die von den niedrigen Wolken reflektiert wurden. Es verlieh den Dächern und Wänden, die Odrade sofort abstießen, eine romantische Erscheinung.
Romantisch? An dem, was sie im Akoluthensaal getan hatte, war nichts Romantisches gewesen.
Ich habe es endlich getan. Ich habe mich persönlich preisgegeben. Jetzt muß Duncan die Erinnerungen unseres Bashars wieder hervorholen. Eine heikle Aufgabe.
Sie blickte weiter in die Nacht hinaus und versuchte, die Knoten in ihrem Magen zu ignorieren.
Ich gebe nicht nur mich selbst preis, sondern auch das, was von der Schwesternschaft übriggeblieben ist. Also so fühlt es sich an, Tar.
So also fühlt es sich an, und unser Plan ist verzwickt.
Es würde regnen. Odrade erkannte es an der Luft, die aus den Ventilatoren kam, die das Fenster umgaben. Unnötig, den Wetterbericht zu lesen. Was sie heutzutage sowieso nur noch selten tat. Was machte es schon aus? Streggis Report enthielt allerdings eine ernstzunehmende Warnung.
Der Regen wurde hier immer seltener, man hieß ihn beinahe willkommen. Trotz der Kälte würden die Schwestern im Freien herumspazieren. Dieser Gedanke enthielt einen Anflug von Traurigkeit. Jeder Regen, den sie sahen, warf die gleiche Frage auf: Wird es der letzte sein?
Die Wetterabteilung vollbrachte heroische Taten, um die sich ausdehnende Wüste trocken und die Grünzonen feucht zu halten. Odrade hatte keine Ahnung, wie man den Regen dazu gebracht hatte, nicht gegen ihre diesbezüglichen Befehle zu verstoßen. Irgendwann würde man gegen diese Befehle verstoßen müssen, auch wenn sie von der Mutter Oberin kamen. Die Wüste wird triumphieren, weil wir es darauf angelegt haben.
Sie öffnete den Mittelteil des Fensters. Auf ihrer Höhe wehte kein Wind mehr. Über ihr bewegten sich nur die Wolken. Die höheren Luftschichten schleppten allerhand mit sich. Das Wetter roch nach Bedrängnis. Die Luft war kalt. Man hatte also die Temperatur verändert, um den Regen zu erzeugen. Odrade schloß das Fenster. Sie verspürte nicht das Bedürfnis, hinauszugehen. Eine Mutter Oberin hatte nicht die Zeit, sich an dem Spiel Der letzte Regen zu beteiligen. Es würde noch weitere Regen geben. Und dort draußen bewegte sich die Wüste unaufhaltsam auf sie zu.
Sie können wir kartographieren und im Auge behalten. Aber was ist mit dem Jäger hinter meinem Rücken – der Alptraumgestalt mit der Axt? Welche Karte sagt mir, wo sie sich heute nacht aufhält?
14
Religion (das kindliche Nacheifern des Erwachsenenverhaltens) umschließt Mythen der Vergangenheit: Mutmaßungen, insgeheimes Vertrauen in das Universum, feierliche Verkündungen, die während des Strebens nach persönlicher Macht geäußert werden; all das vermischt mit Funken der Erleuchtung. Und stets ein unausgesprochenes Gebot: Du sollst nicht fragen! Wir brechen dieses Gebot täglich. Unsere Arbeit ist die Nutzbarmachung der menschlichen Vorstellungskraft für unsere größte Kreativität.
Bene Gesserit-Credo
Murbella saß im Schneidersitz auf dem Boden des Übungsraums. Sie war allein und zitterte, denn sie hatte sich sehr angestrengt. Die Mutter Oberin war an diesem Nachmittag weniger als eine Stunde hier gewesen. Und wie so oft hatte Murbella das Gefühl, man habe sie in einem Fiebertraum zurückgelassen.
Der Traum warf Odrades Abschiedsworte auf sie zurück: »Die schwierigste Lektion, die eine Akoluthe zu lernen hat, besteht darin, daß sie stets bis an die Grenzen gehen muß. Deine Fähigkeiten werden dich weiter bringen, als du dir vorstellen kannst. Also stell dir nichts vor. Übe dich in Geduld!«
Worin besteht meine Reaktion? Daß man mich gelehrt hat, zu betrügen?
Odrade hatte etwas getan, das sie an ihr Dasein als Kind und Schülerin der Geehrten Matres erinnerte. Schon als Kind habe ich gelernt, wie man jemanden täuscht. Wie man ein Bedürfnis simuliert und Aufmerksamkeit erringt. Die Systematik der Irreführung bestand aus vielen ›Wie man ...‹ Je älter sie wurde, desto leichter ging es ihr von der Hand. Sie hatte gelernt, was die sie umgebenden Großen verlangten. Ich habe mich auf Kommando übergeben. Das war es, was man ›Erziehung‹ nannte. Warum fielen die Lehren der Bene Gesserit so bemerkenswert anders aus?
»Ich bitte dich nicht, mir gegenüber aufrichtig zu sein«, hatte Odrade gesagt. »Aber sei aufrichtig zu dir selbst.«
Murbella zweifelte daran, ob sie sich
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