Dune - Frühe Chroniken 01 - Das Haus Atreides
Staub von seiner breiten Brust. Schatten spielten über das zerknitterte, schmale Gesicht und den voluminösen, grau gesprenkelten Bart. Er trug eine schwarze Atreides-Uniform mit dem Wappen des roten Falken auf der linken Brustseite. »Es wird doch sowieso nur die ganze Zeit geredet und herumgestanden, mein Junge.« Er schaute blinzelnd zur Bühne, wo sich die alten Männer kaum von der Stelle gerührt hatten. »Außerdem ist es jedes Jahr dasselbe.«
»Darum geht es nicht, Paulus. Die Leute beobachten dich«, warf Letos Mutter ein, die auf der anderen Seite des Herzogs saß. Die dunkelhäutige Lady Helena, die ihr bestes Kleid trug, nahm die tiefgründigen Worte des griechischen Chors sehr ernst. »Achte auf den Inhalt. Schließlich ist es deine Familiengeschichte, nicht meine.« Leto blickte von einem Elternteil zum anderen. Er wusste, dass die Familiengeschichte des Hauses Richese – das seiner Mutter – nicht weniger Glanz und Tragik enthielt als die der Atreides. Richese war von einem höchst lukrativen »Goldenen Zeitalter« in die gegenwärtige wirtschaftliche Flaute gesunken.
Das Haus Atreides behauptete, seine Wurzeln mehr als zwölftausend Jahre zurückverfolgen zu können, bis zu den Söhnen des Atreus auf Alt-Terra. Heute hatte die Familie ihre lange Geschichte akzeptiert, obwohl sie zahllose tragische und unehrenhafte Zwischenfälle enthielt. Die Herzöge hatten die Tradition der alljährlichen Aufführung des klassischen Dramas Agamemnon eingeführt – über den berühmtesten der Atreus-Söhne und den General, der Troja erobert hatte.
Mit dem pechschwarzen Haar und dem schmalen Gesicht ähnelte Leto Atreides sehr seiner Mutter, obwohl er die Adlernase und das Raubvogelprofil von seinem Vater hatte. Der junge Mann trug unbequeme repräsentative Kleidung und verfolgte leicht geistesabwesend die Geschichte des Stücks, das in einer fernen Epoche angesiedelt war. Der Autor der uralten Tragödie hatte darauf vertraut, dass sein Publikum die exotischen Anspielungen verstand. General Agamemnon war ein bedeutender militärischer Befehlshaber in einem der legendären Kriege der menschlichen Geschichte gewesen, lange bevor die Menschheit durch die selbst geschaffenen Denkmaschinen versklavt wurde, lange bevor Butlers Djihad die Menschheit befreit hatte.
Zum ersten Mal in seinem vierzehnjährigen Leben spürte Leto das Gewicht der Legenden auf seinen Schultern lasten, als er die Verbindung zu den Gesichtern und Persönlichkeiten der schicksalhaften Vergangenheit seiner Familie wahrnahm. Eines Tages würde er seinem Vater nachfolgen und ebenfalls zu einem Teil der Atreides-Geschichte werden. Die Ereignisse ließen bereits seine Jugend zerbröckeln und verwandelten ihn in einen Mann. Er sah es ganz deutlich.
»Das ungeneidete Glück ist das Beste«, deklamierten die alten Männer im Chor, »ruhmreicher als Städte zu plündern, besser als den Befehlen anderer zu folgen.«
Bevor er nach Troja aufgebrochen war, hatte Agamemnon seine Tochter geopfert, damit die Götter ihm günstige Meereswinde gewährten. Seine verzweifelte Frau Klytämnestra hatte die zehn Jahre der Abwesenheit ihres Gatten mit der Planung ihrer Rache verbracht. Und nun, nach der Entscheidungsschlacht um Troja, hatte man eine Kette aus Signalfeuern entlang der Küste entfacht, um in der Heimat die Botschaft des Sieges zu verkünden.
»Die gesamte Handlung findet außerhalb der Bühne statt«, murmelte Paulus, obwohl er sich niemals als Leser oder Literaturkritiker hervorgetan hatte. Er lebte nur für den Augenblick und genoss jeden Tropfen seiner Erfahrungen und Errungenschaften. Meistens zog er die Gesellschaft seines Sohnes oder seiner Soldaten vor. »Alle stehen nur in den Kulissen herum und warten darauf, dass Agamemnon endlich eintrifft.«
Paulus verabscheute Tatenlosigkeit und hatte seinem Sohn immer wieder gesagt, dass selbst eine falsche Entscheidung besser als gar keine Entscheidung war. Leto war überzeugt, dass der alte Herzog am meisten mit der Figur des großen Generals sympathisierte, einem Helden ganz nach seinem Geschmack.
Die alten Männer tönten weiter im Chor, Klytämnestra kam aus dem Palast, um eine Ansprache zu halten, dann setzte wieder der Chor ein. Ein Herold, der vorgab, einem Schiff entstiegen zu sein, kam auf die Bühne, küsste den Boden und lieferte einen langen Monolog ab.
»Agamemnon, ruhmreicher König! Wir heißen dich willkommen, weil du Troja und die Heimat der Trojaner dem Erdboden gleichmachtest.
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