Dune - Frühe Chroniken 01 - Das Haus Atreides
aus den geschäftlichen Unternehmungen der Familie auszahlten. Es war eine wohlhabende, aber keineswegs ausschweifende Familie – zumindest nicht auf Kosten der Bürger.
Als der zurückgekehrte General im Stück das Bad aufsuchte, fesselte seine verräterische Frau ihn in purpurne Gewänder und erstach ihn sowie seine prophetische Mätresse. »Bei den Göttern! Mir wurde ein tödlicher Stich zugefügt!«, klagte Agamemnon von außerhalb der Bühne.
Der alte Paulus schmunzelte und beugte sich zu seinem Sohn hinüber. »Ich habe in der Schlacht schon viele Männer getötet, aber ich habe noch nie gehört, wie jemand sterbend so etwas sagte!«
Helena ermahnte ihn, still zu sein.
»Die Götter mögen mich bewahren! Ein weiterer Stich! Ich werde sterben!«, rief Agamemnons Stimme.
Während sich das Publikum von der Tragödie fesseln ließ, versuchte Leto über die Situation nachzudenken, in welcher Beziehung sie zu seinem Leben stand. Schließlich handelte es sich hierbei um das Erbe seiner Familie.
Klytämnestra gestand den Mord und rechtfertigte ihn als Rache an ihrem Gatten, weil er ihre Tochter geopfert, sie in Troja mit Huren betrogen und am Ende auch noch unverfroren seine Mätresse Kassandra in ihr Haus gebracht hatte.
»Ruhmreicher König«, klagte der Chor, »unsere Liebe zu dir ist grenzenlos, unsere Tränen werden nie versiegen. Die Spinne hat dich in ihrem geisterhaften Netz des Todes gefangen.«
Letos Eingeweide kochten. Das Haus Atreides hatte sich in ferner Vergangenheit schrecklicher Verbrechen schuldig gemacht. Aber seitdem hatte sich die Familie geändert, vielleicht angesichts der Gespenster ihrer Geschichte. Der alte Herzog war ein ehrenwerter Mann, der im Landsraad hohes Ansehen genoss und von seinem Volk geliebt wurde. Leto hoffte, dass er dasselbe von sich behaupten konnte, wenn es an ihm war, die Führung des Hauses Atreides zu übernehmen.
Die letzten Zeilen des Stücks wurden gesprochen, und das Schauspielerensemble erschien auf der Bühne, um sich vor der versammelten politischen und wirtschaftlichen Prominenz zu verbeugen, die sich in statusgemäßer Kleidung eingefunden hatte.
»Ich bin froh, dass es vorbei ist«, sagte Paulus seufzend, als die großen Leuchtgloben im Theatersaal erstrahlten. Der alte Herzog erhob sich und gab seiner Gattin einen Handkuss, bevor sie die Fürstenloge verließen. »Geh schon voraus, meine Liebe. Ich habe noch etwas mit Leto zu besprechen. Warte im Empfangsraum auf uns.«
Helena warf ihrem Sohn einen kurzen Blick zu und machte sich auf den Weg durch den Korridor des uralten, aus Stein und Holz erbauten Theaters. Diese Geste besagte, dass sie genau wusste, was Paulus mit seinem Sohn zu bereden hatte, jedoch bereit war, sich der archaischen Tradition zu beugen, dass die Männer »wichtige Themen« unter sich besprachen, während sich die Frauen anderweitig beschäftigten.
Händler, einflussreiche Geschäftsleute und andere ehrenwerte Bürger strömten in den Korridor, um caladanischen Wein zu trinken und sich am Büfett zu stärken. »Hier entlang, Junge«, sagte der alte Herzog und nahm einen Hinterausgang. Sie kamen an zwei Atreides-Wachen vorbei, die bei ihrem Anblick salutierten. Dann fuhren sie mit einem Lift vier Stockwerke höher, wo sie in ein vergoldetes Ankleidezimmer traten. Balutanische Kristall-Leuchtgloben schwebten in der Luft und verstrahlten warmes, orangefarbenes Licht. Dieser Raum hatte zu den Gemächern eines legendären caladanischen Schauspielers gehört und wurde heutzutage ausschließlich von den Atreides und ihren engsten Beratern benutzt, wenn sie sich zu einem vertraulichen Gespräch zurückziehen wollten.
Leto fragte sich, warum sein Vater ihn hierher geführt hatte.
Nachdem er die Tür hinter sich verschlossen hatte, ließ sich Paulus in einen grün-schwarzen Suspensorsessel sinken und bedeutete Leto, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Der junge Mann tat wie befohlen und stellte den Sessel so ein, dass er etwas höher schwebte und mit seinem Vater auf gleicher Augenhöhe war. Das wagte Leto nur, wenn sie unter sich waren; er hätte es nicht einmal in Gegenwart seiner Mutter getan, die ein solches Verhalten als ungebührlich und respektlos betrachtet hätte. Der alte Herzog hingegen fand die Kühnheit und den Mut seines Sohnes amüsant, weil es ihn daran erinnerte, wie er selbst als junger Mann gewesen war.
»Du wirst allmählich erwachsen, Leto«, begann Paulus und nahm eine kunstvoll geschnitzte Holzpfeife aus einem Fach
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