Dune - Frühe Chroniken 01 - Das Haus Atreides
konnte, drehte man es auf dem Untersuchungstisch herum und ließ es von allen Seiten durch den eingebauten Scanner erfassen. Das Kind wimmerte verängstigt und frierend, aber nur zeitweise, während seine Stimme von Minute zu Minute stärker klang.
Sämtliche Biowerte wurden elektronisch an eine zentrale Empfangseinheit übermittelt, die die Daten in Diagrammform auf einen großen Wandbildschirm projizierte, damit die Expertinnen der Bene Gesserit sich ein Urteil bilden konnten. Ehrwürdige Mütter studierten die Resultate und verglichen sie mit einer zweiten Darstellung, die optimale Zahlenwerte zeigte.
»Die Abweichungen sind äußerst auffällig«, sagte Anirul leise, während sie mit weit aufgerissenen Rehaugen darauf starrte. Die Enttäuschung der jungen Kwisatz-Mutter lastete wie ein schweres Gewicht auf ihren Schultern.
»Und höchst überraschend«, sagte die Mutter Oberin Harishka. Ihre vogelgleichen Augen glitzerten zwischen den Runzeln ihres Gesichts. Die Tabus der Bene Gesserit verboten ihnen nicht nur, in den Zuchtprogrammen künstliche Befruchtungsmethoden einzusetzen, sondern auch die Untersuchung oder Manipulation eines Fötus in utero. Die uralte Frau schüttelte bedächtig den Kopf und warf einen Seitenblick auf die schweißgetränkte Mohiam, die sich allmählich von ihren Anstrengungen erholte. »Die Genetik ist korrekt, aber dieses ... Kind ist falsch. Wir haben einen Fehler gemacht.«
Anirul beugte sich vor, um sich das neugeborene Mädchen genauer anzusehen. Das Kind war kränklich blass und hatte missgestaltete Gesichtsknochen sowie eine ausgekugelte oder deformierte Schulter. Weitere Mängel, die vielleicht chronisch waren, mochten sich erst im Laufe späterer Untersuchungen zeigen.
Und sie soll die Großmutter des Kwisatz Haderach werden? Schwäche gebiert keine Stärke.
Innerlich taumelte Anirul, während sie zu bestimmen versuchte, was schiefgegangen sein konnte. Die anderen Schwestern würden ihr wieder den Vorwurf jugendlichen Ungestüms machen. Die Extrapolationen der Zuchtprogramme waren so präzise gewesen, die Informationen der Weitergehenden Erinnerungen so sicher. Obwohl es von Wladimir Harkonnen gezeugt wurde, war dieses Mädchen nicht das, was es sein sollte. Dieses schwächelnde Kind konnte unmöglich der nächste Schritt in der genetischen Abfolge sein, die in nur zwei Generationen im Heiligen Gral der Bene Gesserit kulminieren sollte – ihrem Übermenschen.
»Könnte es irgendeinen Fehler im Paarungsindex gegeben haben?«, sagte die Mutter Oberin, während sie den Blick vom Baby abwandte. »Oder haben wir es mit einer Anomalie zu tun?«
»In der Genetik ist niemals etwas völlig gewiss, Mutter Oberin«, sagte Anirul und trat einen Schritt vom Neugeborenen zurück. Sie hatte ihre Zuversicht verloren, aber sie wollte nicht in Rechtfertigungen verfallen. Nervös fuhr sie sich mit der Hand über das kurze bronzefarbene Haar. »Die Extrapolationen sind korrekt. Ich fürchte, die Gene haben einfach nicht richtig kooperiert ... diesmal.«
Die Mutter Oberin blickte sich zu den Ärztinnen und den anderen Schwestern im Raum um. Jede Bemerkung und jede Bewegung würde aufgezeichnet und in den Archiven von Wallach IX gespeichert – genauso wie in den Weitergehenden Erinnerungen, um von künftigen Generationen ausgewertet werden zu können. »Willst du damit andeuten, dass wir es noch einmal mit dem Baron versuchen sollten? Schließlich hat er sich nicht gerade kooperativ verhalten.«
Anirul lächelte matt. Welche eine Untertreibung! »Unsere Extrapolationen ergaben die höchste Wahrscheinlichkeit überhaupt. Es muss Baron Harkonnen sein, und es muss Mohiam sein. Diese Konstellation wurde in Jahrtausenden sorgfältiger Selektion vorbereitet. Wir haben noch andere Optionen, aber keine ist so gut wie diese ... also müssen wir es noch einmal versuchen.« Sie bemühte sich, einen kompetenten Eindruck zu machen. »In der Vergangenheit ist es bereits des Öfteren zu Fehlern gekommen, Mutter Oberin. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein Fehlschlag das gesamte Zuchtprogramm zum Scheitern bringt.«
»Natürlich nicht«, erwiderte Harishka. »Wir müssen noch einmal Kontakt mit dem Baron aufnehmen. Schick unsere beste und überzeugendste Vertreterin zu ihm, während Mohiam sich erholt.«
Anirul starrte auf das Baby. Nach der ersten Aufregung war es jetzt ruhiger geworden und bewegte die winzigen Händchen und Beinchen. Es war sogar zu schwach, über einen längeren Zeitraum zu schreien.
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