Dune - Frühe Chroniken 02 - Das Haus Harkonnen
Dominic Vernius fiel, und sie hatte wieder das herzhafte Lachen ihres Vaters im Ohr. Sie dachte daran, wie der große kahlköpfige Mann sie in wirtschaftlichen Dingen unterrichtet hatte. Und mit einem ähnlichen Gefühl des Verlusts dachte sie an ihren Sohn Victor – und an all das, was er niemals haben würde. Für Kailea bestand der schwierigste Teil darin, zur schrecklichen Entscheidung zu gelangen. Doch wenn sie erst einmal wusste, was sie wollte, ging es schließlich nur noch um ... Details.
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Das Individuum ist der Schlüssel, die letztliche Wirkungseinheit sämtlicher biologischer Prozesse.
Pardot Kynes
Jahrelang hatte Liet-Kynes mit ganzem Herzen die wunderschöne, dunkelhaarige Faroula begehrt. Doch als er sie nun heiraten sollte, verspürte er nur noch Leere und das Gefühl, eine Verpflichtung zu erfüllen. Um den Anstand zu wahren, wartete er nach Warricks Tod drei Monate ab, obwohl er und Faroula wussten, dass ihre Verlobung längst beschlossene Sache war.
Er musste den Todesschwur erfüllen, den er seinem Freund geleistet hatte.
Bei den Fremen war es Sitte, dass die Sieger eines Zweikampfes die Frauen und Kinder ihrer getöteten Gegner aufnahmen. Faroula war jedoch keine Ghanima, keine Kriegsbeute. Liet hatte mit dem Naib Heinar gesprochen, seine Liebe bekundet und das feierliche Versprechen zitiert, das er Warrick gegeben hatte – dass er sich aufopferungsvoll um seine Frau kümmern und seinen Sohn wie seinen eigenen aufziehen würde.
Der alte Heinar hatte ihn mit einem Auge gemustert. Der Naib wusste, was sich ereignet hatte, wie es dazu gekommen war, dass sich Warrick während des Coriolissturms geopfert hatte. Was die Ältesten des Rotwall-Sietches anging, war Warrick in der Wüste gestorben. Die Visionen, die er angeblich von Gott empfangen hatte, waren offenkundig falsch, da er die Prüfung nicht überstanden hatte. Also erteilte Heinar seine Erlaubnis, und Liet-Kynes machte sich bereit, die Tochter des Naibs zu heiraten.
Er saß in seinem Zimmer hinter den Vorhängen aus gefärbten Gewürzfasern und grübelte über die bevorstehende Hochzeit nach. Der Aberglaube der Fremen verbot es ihm, Faroula in den zwei Tagen vor der offiziellen Zeremonie zu Gesicht zu bekommen. Mann und Frau mussten sich in dieser Zeit dem Reinigungsritual des Mendi unterziehen. Sie pflegten ihren Körper und schrieben Liebesbekenntnisse und Gedichte, die sie sich später überreichen würden.
Doch jetzt suhlte sich Liet in Selbstvorwürfen, ob er irgendwie für diese Tragödie verantwortlich zu machen war. War es der glühende Wunsch gewesen, den er beim Anblick des weißen Biyan geäußert hatte? Dort hatten Warrick und er gleichzeitig ersehnt, die junge Frau zu heiraten. Liet hatte sich bemüht, seine Niederlage an der Höhle der Vögel demütig zu akzeptieren und die egoistische Stimme in seinem Hinterkopf zum Schweigen zu bringen, die ihn niemals vergessen ließ, wie sehr er sie immer noch begehrte.
War mein geheimer Wunsch der Grund für diese Tragödie?
Jetzt sollte Faroula seine Frau werden ... aber diese Verbindung war aus einem tragischen Anlass entstanden.
»Ach, vergib mir, Warrick, mein Freund!« Er saß weiterhin stumm da und wartete, dass die Zeit verging, bis die Stunde kam, in der die Sietch-Zeremonie beginnen sollte. Er freute sich nicht darauf, nicht angesichts dieser Umstände.
Schwerer Stoff raschelte, als sich der Türvorhang teilte und Liets Mutter eintrat. Frieth lächelte ihm voller Mitgefühl und Verständnis zu. Sie hatte einen verschlossenen Flüssigkeitsbehälter dabei. Er war aus Häuten zusammengenäht, mit Gewürzharz versiegelt, um ihn wasserdicht zu machen, und kunstvoll bestickt. Sie reichte ihm den Schlauch, als wäre es ein kostbarer Schatz, ein Geschenk von unermesslichem Wert. »Ich habe dir etwas gebracht, zur Vorbereitung auf deine Hochzeit.«
Liet riss sich von seinen düsteren Gedanken los. »So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen.«
»Es heißt, wenn eine Frau spürt, dass ihrem Kind ein bedeutendes Schicksal bevorsteht, dass es große Dinge erleben wird, soll sie die Hebammen auffordern, das Fruchtwasser der Geburt zu destillieren und aufzubewahren. Sie kann es ihrem Sohn zum Beispiel an seinem Hochzeitstag überreichen. Verwahre es gut, Liet. Es ist die letzte Vermischung deiner und meiner Essenz, aus der Zeit, als wir körperlich vereint waren. Jetzt wirst du dein Leben mit einem anderen vermischen. Wenn sich zwei Herzen vereinigen, wird ihre
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