Dune - Frühe Chroniken 03 - Das Haus Corrino
andeuten sollte. Es gab weder Markierungen noch Requisiten oder Vorhänge. Die Schauspielertruppe kam in einer Reihe herausmarschiert und brachte sich in Stellung. Jessica musterte die üppigen Kostüme, die mit mythologischen Motiven geschmückt waren.
Shaddam saß steif auf seinem Platz. Er war noch nicht gelangweilt, aber Jessica vermutete, dass es nicht mehr lange dauern würde. Gemäß der Tradition warteten die Darsteller, bis der Imperator ihnen mit einem Nicken zu verstehen gab, dass sie beginnen sollten.
Hinter der Bühne aktivierte ein Techniker die Solidhologeneratoren, und plötzlich wurden Kulissen und Requisiten sichtbar – eine hohe Burgmauer, ein Thron, ein dichtes Wäldchen in der Ferne.
»Ach, Imperium, ruhmreiches Imperium!«, rief der Hauptdarsteller in der Rolle des Raphael. Er trug ein langes Zepter mit einem facettierten Leuchtglobus an der Spitze und hatte dichtes schwarzes Haar, das ihm weit über den Rücken fiel. Sein untersetzter, kräftiger Körper verlieh ihm eine beherrschende Präsenz. Das Gesicht war von porzellanhafter Schönheit, die Jessica anrührte. »Meine Augen sind nicht scharf genug, und mein Hirn ist nicht groß genug, um all die Wunder zu sehen und zu erkennen, über die mein Vater regiert.«
Der Schauspieler senkte den Kopf. »Wenn ich mein Leben doch nur der Gelehrsamkeit widmen könnte, damit ich einst mit einem Schimmer von Verstehen sterbe. So könnte ich Gott und meine Vorväter am besten ehren, die das Imperium groß machten, die das Joch der Denkmaschinen abwarfen.« Er hob den Kopf, und sein stechender Blick zielte genau in Shaddams Richtung. »Als Corrino geboren zu sein ist ein Segen, den niemand verdient hat.«
Jessica bekam eine Gänsehaut. Der Schauspieler interpretierte den Monolog mit kraftvoller Stimme. Aber er hatte die überlieferten Worte leicht abgewandelt. Sie war überzeugt, dass sie sich genau an jede Zeile des klassischen Stücks erinnern konnte, das sie in der Schule gründlich studiert hatte. Falls Lady Anirul die Abweichungen aufgefallen waren, ließ sie sich nichts anmerken.
Die weibliche Hauptdarstellerin, die die Rolle der hübschen Herade spielte, stürmte auf die Szene. Sie unterbrach die Gedanken des Kronprinzen und informierte ihn über einen Mordversuch an seinem Vater, dem Padischah-Imperator Idriss I. Schockiert sank der junge Raphael auf die Knie und weinte, doch Herade zog ihn wieder empor. »Nein, nein, mein Prinz. Er ist noch nicht tot. Euer Vater hat überlebt, obwohl er eine schwere Kopfverletzung erlitten hat.«
»Idriss ist das Licht, das den Goldenen Löwenthron erstrahlen lässt – über das ganze Universum. Ich muss ihn sehen. Ich muss die Glut wieder entfachen und ihm die Kraft zum Weiterleben geben.«
»Dann sollten wir eilen«, sagte Herade. »Der Suk-Arzt ist bereits bei ihm.« In ernster Stimmung verließen sie gemeinsam die Bühne. Kurz darauf zeigten die Holokulissen einen Innenraum.
Shaddam lehnte sich mit einem schweren Seufzer in seinem Logensessel zurück.
Im Stück erholte sich Imperator Idriss nicht mehr von seiner Verletzung, sondern blieb im Koma und wurde von medizinischen Apparaturen am Leben erhalten. In seinem imperialen Bett wurde er rund um die Uhr versorgt. Raphael Corrino, der rechtmäßige Thronerbe, der nun de facto zum Herrscher geworden war, trauerte um seinen Vater, trat aber niemals offiziell an seine Stelle. Raphael saß nie auf dem imperialen Thron, sondern begnügte sich stets mit einem kleineren Sessel. Obwohl er jahrelang über das Imperium regierte, behielt er seinen Titel als Kronprinz bei.
»Ich werde mich nicht des Thrones meines Vaters bemächtigen, und wehe jedem Schmarotzer, der solche Ambitionen hegt!« Der Schauspieler trat näher an die imperiale Loge heran. Der Leuchtglobus an der Spitze seines Stabes schimmerte wie ein Kristall, der kaltes mineralisches Licht abgab.
Jessica blinzelte und versuchte zu rekonstruieren, welche Worte der Schauspieler geändert hatte – und warum. Seine Bewegungen hatten etwas Merkwürdiges, etwas Angespanntes. War er einfach nur nervös? Vielleicht hatte er den originalen Wortlaut vergessen. Aber ein Künstler von Jongleur solle seinen Text eigentlich niemals vergessen ...
»Das Haus Corrino ist mächtiger als das Streben Einzelner. Niemand kann dieses Erbe ganz allein für sich beanspruchen.« Er klopfte mit dem Stab auf den Boden. »Eine solche Anmaßung wäre in der Tat eine große Dummheit.«
Nun bemerkte auch Anirul die Fehler und
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