Dungirri 01 - Schwarze Dornen
ich übrigens aus dem Polizeidienst ausscheiden.«
»Das habe ich mir schon gedacht.« In Kris’ Ton lag keine Spur von Tadel, und dafür war Isabelle ihr dankbar. »Weißt du schon, was du dann machen wirst?«
»Nein. Im Grunde haben meine Pläne sich bis jetzt nur darauf beschränkt, mich von all diesem Wahnsinn fernzuhalten.«
Kris öffnete den Mund, als wolle sie etwas sagen, machte ihn wieder zu, sagte es dann aber doch. »Bella, Liebes, ich weiß, es war nötig, dass du dich für eine Weile zurückziehst. Es liegt in deiner Natur, dass du Raum brauchst, um ganz für dich allein mit dir ins Reine zu kommen. Aber … na ja, es wäre eine furchtbare Vergeudung, wenn du dich für immer verkriechst.«
»Ich kann nicht mehr zurück.«
»Das kann niemand. Wir haben uns alle verändert. Aber das heißt nicht, dass wir nicht nach vorn gehen können.«
Was Kris sagte, hatte Hand und Fuß - wie immer -, aber die Rückkehr zu einem Leben in der menschlichen Gesellschaft erschien Isabelle noch immer als gefährlicher Pfad. Wenn es einen Weg nach vorn geben sollte, heraus aus der Finsternis, so konnte sie ihn bislang nicht erkennen.
»Jedes Mal, wenn ich mit jemandem da draußen spreche, frage ich mich: War er dabei? Ich weiß es nicht, ich erinnere mich nicht, und ich habe ständig Albträume, in denen ich Leute dort sehe, die unmöglich dabei gewesen sein können - dich, Jeanie, selbst meinen Vater. Ich zweifle inzwischen an meinem eigenen Urteilsvermögen.
Und ich kann nicht sagen … Mir ist völlig schleierhaft, wer von ihnen Jess ermordet und Tanya entführt haben könnte. Ich dachte, ich kenne diese Menschen - aber das stimmt nicht.«
»Das verstehe ich, Bella.« Kris seufzte und ließ den Kopf an die Tür sinken. »Ich lebe und arbeite jetzt seit fast fünf Jahren in diesem Ort, und mir geht es nicht anders. Bei Chalmers hatte ich meine Zweifel, aber es war so praktisch, daran zu glauben, dass er der Mörder von Jess und mit seinem Tod alles vorbei ist. Und jetzt - jetzt sehe ich die Menschen an, denen ich Tag für Tag begegne, und frage mich, wer von ihnen mich die ganze Zeit schon auslacht.«
Eine Weile schwiegen sie beide.
»Bleibst du hier? Wenn das vorbei ist?«, fragte Isabelle.
»Wahrscheinlich. Wenn sie mich dann noch wollen. Ich hab das Kaff irgendwie ins Herz geschlossen, und es wird viel aufzuarbeiten geben.« Kris sah sie von der Seite an. »Und du? Wirst du wieder herkommen und vielleicht eine Weile bleiben? Weißt du, es gibt einige hier, die sich gern mit dir aussöhnen würden.«
Tatsächlich? Sie hatte sich keine großen Gedanken darüber gemacht, was andere empfanden angesichts dessen, was ihr zugestoßen war; und im Augenblick wusste sie auch nicht, ob sie den Mut hatte, sich ihnen zu stellen. Sie musste sich jetzt auf Tanya konzentrieren, und dabei waren die kommenden ein, zwei Tage von entscheidender Bedeutung.
»Vielleicht«, räumte sie ein. »Wenn wir Tanya gefunden haben.«
»Ja. Wenn wir Tanya gefunden haben«, wiederholte Kris ihre Worte.
Es klopfte, und als Kris zur Seite trat und die Tür ein Stück aufzog, streckte eine der jungen Polizistinnen den Kopf herein.
»Da sind Sie ja, Isabelle. Darren Oldham ist hier und möchte Sie sprechen.«
»Danke. Bin gleich da.«
Die Pflicht rief, und Isabelle musste ihr professionelles Gesicht aufsetzen und die eigenen Belange zurückstellen. Die Suche nach einem Weg in die Zukunft, wie immer die auch aussehen mochte, blieb eine Aufgabe für einen späteren Zeitpunkt.
Darren erwartete sie an einem Tisch in dem für Einzelgespräche abgesonderten Bereich. Sie versuchte, sich zu entsinnen, ob sie vergangenes Jahr mehr als nur flüchtig mit ihm gesprochen hatte. Sie wusste, dass man ihn damals vernommen hatte - das traf auf praktisch jeden Einwohner zu -, aber das musste ein anderer Detective übernommen haben, denn sie konnte sich an eine solche Unterredung nicht erinnern.
Darren der Kauz - so hatten die anderen Kinder ihn genannt, als er ein hagerer Teenager gewesen war, der immer aussah, als hätte er in seinen Klamotten geschlafen, und nie die richtigen Worte fand. Es hatte ihm offenbar nicht allzu viel ausgemacht - immerhin war »Kauz« nicht so unschmeichelhaft wie andere Spitznamen. Es war nicht mehr als eine freundschaftliche Neckerei, fast ein Kosename. Der Ort war zu klein, als dass die wenigen Jugendlichen sich in Cliquen hätten aufteilen können, und so hatten die Coolen und die Käuze, die Streber, die Stubenhocker und
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