Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Hiebes, die sie wanken ließ. Egal wie stark sie war, sie wog allerhöchstens fünfzig Kilo, und die Bewegungsenergie mußte abgeleitet werden.
    Das war allerdings auch die einzige Wirkung, die sein gewaltsamer Faustschlag hervorrief.
    Vera schüttelte den Kopf und rückte ihre Brille wieder zurecht. »Fühlst du dich jetzt besser?« fragte sie ruhig.
    Jan preßte die rechte Hand gegen den Leib und versuchte, die Tränen wegzublinzeln. »Was … was bist du?« flüsterte er. »Was, zum Teufel, bist du?!«
    Vera lächelte traurig. »Ich bin nicht ganz sicher«, sagte sie. »Aber ich glaube, du würdest mich als Vampir bezeichnen.«
     
    Er erinnerte sich noch so genau an die letzten Tage im Leben seines Vaters, als wären sie erst wenige Wochen vergangen und nicht Jahre.
    Jans Verhältnis zu seinem Vater war weder besonders gut gewesen noch besonders schlecht, sondern von einer Art, die Jan selbst immer als ›normal‹ bezeichnet hatte (auch wenn er insgeheim wußte, daß sie das nicht war). Trotzdem hatte er sich in den letzten Monaten fast aufopfernd um den sterbenden alten Mann gekümmert. Die letzte Woche hatte er praktisch ununterbrochen an seinem Bett verbracht.
    Sein Vater hatte die letzten Tage seines Lebens in einem Zustand zwischen Schlaf und Koma verbracht, aus dem er nur noch minutenweise aufgewacht war. Er war nur noch eine ausgezehrte, vom Krebs verheerte Gestalt, die kaum noch etwas Menschliches zu haben schien. Vom Fieber geschüttelt und zusätzlich von den Drogen gepeinigt, die ihm die schlimmsten Schmerzen nehmen sollten, es aber am Schluß wahrscheinlichnicht mehr taten. Er phantasierte. Jedenfalls hatte Jan das damals geglaubt.
    Heute hingegen …
    Sein Vater hatte von Männern erzählt. Männer, die an seinem Bett standen und ihn holen wollten, die ihn anstarrten, warteten. Die Halluzinationen eines sterbenden alten Mannes, dessen Gehirn von Krankheit und Medikamenten gelenkt wurde und für den der Tod nur noch eine Erlösung war, auf die er viel zu lange hatte warten müssen. Wer hat Angst vorm schwarzen Wolf?
    Und wenn es keine Halluzination war?
    Wenn die Drogen oder vielleicht auch irgendwelche körpereigenen Chemikalien, die die Krebszellen freisetzten, sein Gehirn nicht zerstört, sondern seine Sinne ganz im Gegenteil auf eine bisher nie geahnte Art geschärft hatten, so daß er in der Lage war, Dinge zu sehen, die den meisten anderen verborgen blieben? Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?
    Die Antwort bestand aus zwei kleinen Buchstaben: Er.
    Jan öffnete die vierte Dose Bier, seit Vera und Katrin die Wohnung verlassen hatten, und nahm einen gewaltigen Schluck. Es schmeckte nicht, und die erhoffte Wirkung des Alkohols blieb ebenso aus wie bei den drei Dosen zuvor. Er hatte nicht vorgehabt, sich zu betrinken, aber er spürte überhaupt nichts. Vermutlich würde er auch dann nichts spüren, wenn er die zehnfache Menge Bier in sich hineinschüttete. Das einzige Ergebnis war, daß er zum dritten Mal innerhalb der letzten dreiviertel Stunde aufs Klo mußte.
    Er ging ins Bad, erleichterte sich und schüttete den Rest aus der Bierdose gleich hinterher, bevor er die Spülung betätigte. Der Alkohol würde ihm nicht helfen. Statt des angenehmen Schwindelgefühls, das er so genoß und bei dessen Erreichen er mit eiserner Konsequenz aufhörte zu trinken, würde er ihm allerhöchstens Kopfschmerzen bescheren. Undes war wichtig, daß er einen klaren Kopf behielt – oder, besser gesagt, bekam.
    Jan ging zum Becken, schöpfte sich fünf oder sechs Handvoll eiskaltes Wasser ins Gesicht und biß die Zähne zusammen, als die zahllosen kleinen und größeren Schnitte und Platzwunden an seinen Händen wie Feuer zu brennen begannen.
    Nachdenklich betrachtete er seine Finger. Er hatte die Verbände und Heftpflaster entfernt, weil sie seine Bewegungsfreiheit zu sehr einschränkten. Die Schnitte auf seinen Handrücken und den Fingern waren nicht so schlimm, aber die Haut über allen vier Knöcheln seiner rechten Hand waren aufgeplatzt, und wenn er die Finger ausstreckte und bewegte, hörte er ein unangenehmes Knacken in den Gelenken. Er war nicht ganz sicher, ob er sich nicht die Knöchel gebrochen oder wenigstens gestaucht hatte. Hätte er noch einen Beweis gebraucht, daß Vera nicht das war, wonach sie aussah, so hätte er nur seine rechte Hand ansehen müssen.
    Nun stützte er sich mit beiden Händen schwer auf den Waschbeckenrand, hob den Kopf und betrachtete sein Gesicht im Spiegel.
    Der Anblick war nicht so

Weitere Kostenlose Bücher