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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Mensch auszusehen, aber keiner war.
    Vera reagierte jedoch nicht verletzt, sondern lächelte nur traurig. »Was du gesehen hast, war nicht die Wirklichkeit. Nur das, was diese Maschine zu sehen glaubt. So wie du nur das siehst, was du dir selbst zu sehen gestattest.«
    Jan war nicht ganz sicher, daß er diesen Satz begriff. Aber vielleicht hatte er auch nur Angst, daß er ihn verstehen könnte. Er schwieg.
    »Wir müssen uns vor euch verbergen«, fuhr Vera nach einer Weile fort. »Ihr würdet uns niemals gestatten, unter euch zu leben. Weil ihr Angst vor uns habt.«
    »Und das wundert dich?« Großer Gott, wer hätte keine Angst vor dem, was er gerade gesehen hatte?
    »Nein«, antwortete Vera ruhig. »Was für uns gilt, das gilt auch für euch. Ihr seid so, wie euch die Natur erschaffen hat. Ihr müßt uns fürchten. Wir sind die Jäger, und ihr seid die Beute. Wir sind eure natürlichen Feinde. Jedenfalls … waren wir es.« Sie setzte die Brille wieder auf, aber diesmal war der Effekt genau umgekehrt.
    Nachdem er ihre unheimlichen Augen nicht mehr sah, wirkte sie keineswegs menschlicher als zuvor, sondern schien plötzlich etwas von einem Insekt zu haben, das seine Beute musterte. Er versuchte den Gedanken zu verscheuchen, aber es gelang ihm nicht. Nach ein paar Sekunden wandte er den Blick ab und starrte ins Leere, aber das machte es nicht besser. Er konnte spüren, daß sie ihn weiter anstarrte.
    »Wir haben nicht viel Zeit.« Er konnte hören, wie Vera sich hinter ihm bewegte. Sie änderte ihre Art zu reden. Die fremdenEmotionen, die gerade noch in ihrer Stimme gewesen waren, erloschen, und sie zählte jetzt nur noch Fakten auf. »Ich werde dir alles erzählen, was du wissen mußt, um zu überleben. Nicht mehr und nicht weniger.«
    »Und danach?«
    »Danach?«
    »Du weißt genau was ich meine«, sagte Jan. »Was passiert, wenn alles vorbei ist? Wenn wir diesen … Nosferatu erledigen, bevor er uns erwischt?«
    »Ich verstehe nicht genau«, antwortete Vera, und die Verwirrung in ihrer Stimme klang tatsächlich echt. »Was soll danach sein? Ich werde verschwinden, und dein Leben wird wieder sein wie zuvor.«
    »Das glaubst du doch selbst nicht«, murmelte Jan. »Du hast es gerade gesagt: Ihr müßt das Geheimnis eurer Existenz schützen. Niemand darf wissen, daß es euch gibt.«
    »Und deshalb werde ich dich und alle anderen, die mich gesehen haben, umbringen?« Vera lachte. »Warum sollte ich das tun? Niemand wird dir glauben. Was willst du diesem übereifrigen Polizisten schon erzählen? Daß du herausgefunden hast, daß es Vampire gibt, die unsichtbar unter den Menschen leben und ihre Lebensenergie aussaugen? Ich bin sicher, er würde dir jedes Wort glauben.«
    Der Spott in ihrer Stimme hatte verletzend sein sollen, aber er war es nicht. Vielleicht, weil sie einfach nur die Wahrheit sagte. Sie hatte recht: Niemand würde ihm glauben. Sie glaubte es ja selbst nicht.
    »Es gab eine Zeit, da hätte ich es getan«, fuhr Vera fort. »Aber das ist lange her. Wir haben dazugelernt. Es ist nicht nötig, Menschen zu töten. Ihr lebt einfach nicht lange genug, um Schaden anzurichten.«
    Das zumindest war eine neue Information. Jan versuchte – schon aus purem Selbstschutz, um nicht vollends den Bodenunter den Füßen zu verlieren –, dasselbe zu tun wie sie und sich nur auf die Fakten zu konzentrieren. Offensichtlich war die Lebenserwartung jener unheimlichen Spezies, der Vera angehörte, weitaus höher als die eines Menschen.
    »Also gut«, sagte er. »Erzähl es mir.«
    »Du weißt schon fast alles, was nötig ist.« Und vermutlich mehr, als gut für ihn war. »Wir unterscheiden uns nicht so sehr von euch, wie du glaubst. Wir leben länger, und wir können uns in Bereichen der Welt bewegen, die euch verborgen sind. Das ist schon beinahe alles.«
    »Abgesehen von der Kleinigkeit, daß ihr Vampire seid, die uns unsere Lebenskraft nehmen«, sagte er. Wie lange hatte er gebraucht, um dieses Wort auszusprechen? Lange. Und er fühlte sich nicht erleichtert, jetzt, wo er es getan hatte. Im Gegenteil, es schien eher schlimmer geworden zu sein. Er hatte aus einer abstrakten Idee etwas Wirkliches gemacht, indem er ihr einen Namen gab.
    »Ich sagte bereits: Wir haben dazugelernt. Früher einmal waren wir vielleicht so. Was du ›Lebenskraft‹ nennst, ist die Energie, von der wir existieren. Aber es ist nicht nötig, dafür Menschen zu töten. Wir sind da, wenn euer Leben auf natürliche Weise endet. Die Welt ist voll von Tod

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