Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
Das Ding, das ihm sein Computer gezeigt hatte, war mehr Tier als Mensch gewesen.
In diesem Traum jedenfalls hatte Nosferatu-Vlad ihn verfolgt, und wie es in Alpträumen oft der Fall war, war er gerannt und gerannt und gerannt, ohne wirklich von der Stelle zu kommen, und schließlich war er gestürzt, und die Welt war in Millionen Scherben zerbrochen. Genau das war es gewesen, was ihn geweckt hatte: Das Geräusch von zerbrochenem Glas.
Jan stemmte sich auf die Ellbogen hoch, drehte den Kopf und stellte erst jetzt fest, daß er nicht mehr allein war. Katrin stand auf der anderen Seite des Bettes, umklammerte ihre rechte Hand mit der linken und versuchte vergeblich, ein Stöhnen zu unterdrücken.
Jan blinzelte. Er war noch immer zu benommen, um dem Bild sofort einen Sinn zuzuordnen, aber er spürte, daß etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.
»Was ist passiert?« murmelte er. Was tat sie hier? Vera hatte sie weggeschickt.
»Nichts«, antwortete Katrin. Ihre Stimme zitterte ganz leicht. »Ich wollte dich nicht wecken. Entschuldige.«
Jan setzte sich weiter auf und bedauerte diesen Entschluß augenblicklich. Alles drehte sich um ihn. Sein Kreislauf war offensichtlich am Boden. Die Monsterjäger im Kino steckten solche Szenen eindeutig besser weg als die in der Wirklichkeit. Jedenfalls besser als er.
»Ich wollte dich nicht wecken«, sagte Katrin noch einmal. »Tut mir leid. Meine Schuld.« Sie setzte sich auf die Bettkante, zog die Nachttischschublade auf und begann hektisch darin zu graben. »Ich war ungeschickt.«
Jan setzte sich ein zweites Mal – sehr viel vorsichtiger – auf und blinzelte zu ihr hinüber. Sie mußte schon eine ganze Weile hier sein, denn sie trug nur noch ein dünnes, praktisch durchsichtiges Negligé, das mehr von ihrem Körper enthüllte, als es verbarg. Der Anblick erregte ihn auf eine Weise, die ihn fast erschreckte. Morgen war Peters Beerdigung. Er hatte vor ein paar Stunden mit einem leibhaftigen Vampir um sein Leben gekämpft. Jetzt war wirklich nicht der Moment, an so etwas zu denken!
Er versuchte den Gedanken zu verscheuchen. »Ungeschickt? Was … was suchst du überhaupt?«
»Ein Pflaster.« Katrin hielt die rechte Hand in die Höhe. Zwischen ihren Fingern lief Blut hervor und tropfte auf den Teppich. »Ich habe mich geschnitten.«
»Geschnitten?« Es dauerte immer noch eine Sekunde, bis Jan wirklich begriff, was er sah. Dann durchfuhr ihn ein heißer Schrecken. Er sprang mit einem Satz auf und eilte um das Bett herum. Sofort wurde ihm wieder schwindelig, aber diesmal ignorierte er es. »Um Gottes willen! Was ist passiert?«
»Nichts Schlimmes«, antwortete Katrin. »Ich habe den Spiegel zerbrochen – paß auf, wo du hintrittst.
Ihre Warnung kam einen Sekundenbruchteil zu spät. Jantrat auf etwas Kaltes, das auf dem Boden lag, und dann schoß ein scharfer Schmerz durch seinen Fuß. Jan keuchte, sprang hastig zurück und verlor prompt das Gleichgewicht. Ungeschickt fiel er auf das Bett.
Katrin hörte auf, in der Schublade herumzukramen und warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Ist es schlimm?«
Der Schmerz hatte schon wieder nachgelassen. Jan richtete sich auf, widerstand der Versuchung, den Kopf zu schütteln – ihm war auch jetzt schon schwindelig genug – und betrachtete mißmutig seinen Fuß. Es war nur ein winziger Schnitt, der kaum blutete.
»Was, zum Teufel, ist passiert?« knurrte er.
»Hab’ ich doch gesagt«, antwortete Katrin. »Ich wollte ganz besonders leise sein und habe kein Licht eingeschaltet. Dabei bin ich gegen den Spiegel gestoßen. Warte einen Moment – ich kümmere mich gleich um deinen Fuß.«
Jan starrte sie immer verwirrter an. Der Spiegel, den sie meinte, war ein Designerstück mit einem massiven, goldlackierten Holzrahmen, das Katrin einmal von einem Einkaufsfeldzug mitgebracht hatte. Ein Objekt aus der Epoche der ›neuen Klobigkeit‹, wie Jan es genannt hatte. Es hatte selbst Nosferatus Verwüstungswahn widerstanden. Um dieses Ding zu zerstören, reichte es nicht aus, einfach nur dagegenzustoßen; man mußte es schon mit einem Fausthieb zertrümmern.
»Was machst du überhaupt hier?« fragte er, während er mit zusammengebissenen Zähnen seinen Fuß abtastete. »Vera hat dich doch weggeschickt.«
Katrin hatte mittlerweile das Verbandszeug gefunden und versuchte ungeschickt, den Schnitt in ihrer eigenen Hand zu versorgen. »Das hat sie. Aber ich hätte nie gehen sollen. Morgen ist die Beerdigung deines Bruders. Du glaubst doch
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