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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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herein und sehe nach Ihnen.«
    »Ich denke ja nicht daran«, murmelte Jan, während ihm bereits die Augen zufielen.
     
    Er konnte allerdings nicht lange geschlafen haben. Vielleicht hatte er überhaupt nicht geschlafen, denn er hatte das Gefühl, das Geräusch der zuschlagenden Tür noch im Ohr zu haben, als er auch schon wieder erwachte.
    Nicht von selbst. Jemand hatte ihn geweckt, auf welche Weise konnte er sonderbarerweise nicht mehr sagen, jedenfalls wohl auf ziemlich grobe Art. Er wußte nur, daß es keine Berührung gewesen war, und auch kein lautes Sprechen. Rütteln an der Schulter und hysterisches Geschrei waren ja Dieters und Katrins Methoden.
    Jedenfalls war es ihm unmöglich weiterzuschlafen. Etwas, das stärker war als der medikamentös hervorgerufene Tiefschlaf, schnitt wie eine Messerklinge durch sein gedämpftes Bewußtsein und riß ihn aus dem Alptraum heraus, der tief unter der Betäubung getobt hatte.
    Er öffnete die Augen.
    Eine schattenhafte, schlanke Gestalt stand neben seinem Bett und sah auf ihn herab.
    Eine schattenhafte Gestalt, kein Schatten. Es war nicht der Dunkle. Ihre Umrisse waren zu real, um etwas anderes als Realität sein zu können, aber sie brachte zugleich auch etwas von der körperlosen Angst mit sich, die den Dunklen ausgezeichnet hatte. Sein Herz schlug nicht schnell. Er war völlig ruhig. Er spürte die Furcht, die die Gestalt umgab wie ein unsichtbarer, wehender Mantel, aber sie berührte ihn nicht.
    Jan wurde klar, daß er nicht wach war, sondern nur eine besonders bizarre Fortsetzung des Alptraums erlebte, der bisher in eine tiefere Bewußtseinsebene verdrängt gewesen war.
    Geh , wisperte der Schatten. Du mußt verschwinden. Sofort. Er ist auf dem Weg.
    Damit endete die Vision. Der Schatten verblaßte und war dann einfach weg, und Jan schlug zum zweitenmal die Augen auf und erwachte endgültig.
    Er hatte entsetzliche Kopfschmerzen. In seinem Mund war ein Geschmack, den er nicht einmal beschreiben konnte, und seine linke Hand fühlte sich an, als wäre sie zur Größe eines Medizinballs angeschwollen und bestünde aus nichts anderem als purem Schmerz.
    Jan blinzelte, versuchte den schlechten Geschmack herunterzuschlucken und handelte sich einen ausgewachsenen Brechreiz ein. Während er dagegen ankämpfte, sah er mühsam nach links. Der Schatten war endgültig verschwunden – soweit er jemals dagewesen war –, und durch die Milchglasscheibeströmte nun echtes Sonnenlicht, durch die Tür drangen gedämpfte Laute, die nicht zu identifizieren waren, trotzdem aber anders als bisher waren. Sein Zeitgefühl hatte ihn vollends im Stich gelassen: Er war deutlich länger als einige Sekunden weggewesen.
    Und er mußte hier raus.
    Der Gedanke entstand so deutlich in seinem Bewußtsein, als hätte jemand ihm die Worte laut ins Ohr gesagt. Kein Zweifel. Kein Widerspruch. Kein Hinterfragen.
    Er mußte hier raus.
    Sofort.
    Es gab allerdings ein Problem: Der Geist war willig, aber sein Fleisch war schwach, und das im buchstäblichen Sinne des Wortes. Das Zeug, das die Schwester in seine Infusion gemischt hatte, hatte sein Bewußtsein freigegeben, hielt seinen Körper aber weiter eisern umklammert. Seine Glieder schienen mit Blei gefüllt zu sein (abgesehen von seiner linken Hand, in der pures Feuer war), und der Druckverband um seine Brust schien sich in reines Gußeisen verwandelt zu haben. Er versuchte sich hochzustemmen, scheiterte schon im Ansatz und schloß für einen Moment die Augen, um Kraft zu sammeln.
    Er ist auf dem Weg.
    Er wußte nicht einmal, was diese Worte bedeuteten. Aber sie erfüllten ihn mit einer Angst, wie er sie nie zuvor gespürt hatte, nicht einmal am vergangenen Abend, als er glaubte, dem Tod ins Auge zu blicken.
    Er mußte hier weg. Sofort.
    In einer Beziehung war es tatsächlich wie im Kino: Es war das gleiche Gefühl wie gestern, als er vor der Tür der Toilette gestanden hatte. Ohne daß es irgendeiner logischen Begründung bedurfte, wußte er einfach, daß etwas Entsetzliches geschehen würde, etwas Unsagbares, schlimmer als der Tod. Er wußte sogar, was.
    Seine Seele war in Gefahr.
    Er schloß noch einmal die Augen, sammelte sich und zwang seine Augenlider, die plötzlich eine Tonne zu wiegen schienen, sich wieder zu heben.
    Er ist auf dem Weg.
    Er war fast hier.
    Jan konnte nicht sagen, was er war, oder ob er überhaupt ›er‹ oder nicht viel mehr ›es‹ bedeutete, aber schon dieser pure Gedanke erfüllte ihn mit einem solchen Grauen, daß er nicht

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