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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Gesichtsausdruck wandelte sich schlagartig in Verwirrung. Sie war so perplex, daß sie sogar auf jede spitze Bemerkung verzichtete und sich kommentarlos einen Stuhl heranzog. Sie nahm am Kopfende des Tisches Platz, weder auf Jans Seite noch ihm gegenüber.
    »Eine Bekannte von dir?« erkundigte sie sich.
    »Das ist Vera«, erklärte Jan. Mit einer Geste auf Katrin fügte er hinzu: »Katrin, meine Verlobte.«
    »Du hast nicht übertrieben«, sagte Vera. »Sie ist so hübsch, wie du gesagt hast.«
    Jan konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, irgend etwas in dieser Art gesagt zu haben. Trotzdem spürte er, wie ihm das Blut in die Ohren schoß, und Katrin reagierte mit einem raschen und fast unangenehm überraschten Blick in seine Richtung. Jan verteilte niemals Komplimente, das wußte sie; weder in ihrer Gegenwart noch in ihrer Abwesenheit. Schon gar nicht in ihrer Abwesenheit, um genau zu sein.
    »Kennen wir uns?« fragte Katrin zögernd. Eine dumme Frage, aber vermutlich die positivste Antwort, die er im Moment erwarten konnte.
    »Noch nicht«, antwortete Vera und schaufelte eine weitere Portion Erdbeereis in sich hinein.
    »Vera hat mich gerettet«, sagte Jan unbeholfen.
    »Gerettet? Vor wem?«
    »Was«, antwortete Jan. »Es muß heißen: Vor was?« Er machte eine Kopfbewegung über den Platz. »Ich wäre um ein Haar von der Straßenbahn überfahren worden.«
    Katrin riß die Augen auf. »Wie bitte?!«
    »Reg dich nicht auf«, sagte Vera mit vollem Mund. »Es ist ja nichts passiert.«
    »Aber das wäre es, wenn sie mich nicht zur Seite gerissen hätte«, fügte Jan hinzu. »Ich bin ihr wirklich dankbar. Wenn sie nicht gewesen wäre …«
    »Was soll das heißen: Von der Straßenbahn überfahren?« beharrte Katrin. An diesem Satz war nun wirklich nicht besonders viel, was nicht zu verstehen wäre, aber Katrin war im Moment offenbar so verstört, daß sie selbst das Erscheinen des Erzengels Gabriel nicht mehr aus der Fassung gebracht hätte.
    »Er war ein bißchen abgelenkt«, erklärte Vera. »Wahrscheinlich hat er nach dir gesucht.«
    »Dann … dann muß ich mich jetzt wohl bei Ihnen bedanken«, sagte Katrin unbeholfen. Sie lächelte verunglückt in Veras Richtung und warf Jan gleich darauf einen Blick zu, der für seinen Geschmack entschieden zu viel Spielraum für Interpretationen zuließ.
    »Das hätte doch jeder getan«, antwortete Vera großspurig. »Außerdem hat er sich schon bedankt.« Sie hatte ihren Eisbecher ausgelöffelt, stellte ihn auf den Tisch zurück und schlug sich mit der flachen Hand auf den Magen, daß es klatschte. »Das war das beste Essen, das ich seit ein paar Tagen bekommen habe. Übrigens auch das einzige«, fügte sie nach kurzem Zögern hinzu.
    Wären sie allein gewesen, hätte Jan die Bemerkung ignoriert. Unglücklicherweise waren sie es nicht.
    »Seit ein paar Tagen?« hakte Katrin nach.
    »Im Moment hab’ ich eine kleine Pechsträhne«, gestand Vera mit einem perfekt gespielten, verlegenen Grinsen, das Jan ihr trotzdem keine Sekunde lang glaubte. »Aber das geht vorbei. Ist nicht die erste. Und wird sicher auch nicht die letzte bleiben.«
    Katrin warf Jan einen weiteren, fragenden Blick zu, deutete schließlich ein Achselzucken an und griff in ihre Handtasche. Jan nahm an, um Zigaretten und Feuerzeug herauszuholen, doch statt dessen zog sie ihr Portemonnaie hervor. »Wenn das so ist«, begann sie, »dann –«
    »Laß dein Geld stecken«, sagte Vera scharf. »Ich nehm’ doch kein Geld dafür, daß ich etwas so Selbstverständliches getan hab. So weit unten bin ich nun doch noch nicht.«
    »Entschuldigung«, murmelte Katrin. Sie kramte ihre Geldbörse so hastig in die Handtasche zurück, daß die Bewegung fast erschrocken wirkte. Offensichtlich war ihr klar geworden, wie verletzend ihr Ansinnen wirken konnte, auch wenn es sicherlich ehrlich gemeint war. In der gleichen Bewegung zog sie nun doch ihre Zigaretten hervor, zündete sich eine an und ließ vor lauter Nervosität ihr Feuerzeug fallen.
    Wieder spielte der Kellner den rettenden Engel, indem er genau im richtigen Moment auftauchte und sich nach Katrins Wünschen erkundigte. Jan lehnte an ihrer Stelle ab und machte eine entsprechende Geste, die Rechnung zu bringen.
    Während sie darauf warteten, fand Katrin ihre Selbstbeherrschung immerhin weit genug wieder, um ihm einen leicht strafenden Blick zuzuwerfen. Sie verstand sein Verhalten nicht; wie auch? Immerhin hatte er ihr vor einer Minute noch erzählt, daß Vera ihm das

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