Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
deinem harten Tag.«
Jan zählte in Gedanken bis drei, bevor er antwortete. Vera war entweder unverschämt oder ungefähr so sensibel wie ein Ziegelstein. Es war vermutlich nicht besonders schwer zu erkennen, daß mit ihm irgend etwas nicht stimmte; aber es mußte genauso deutlich zu erkennen sein, daß er nicht darüber reden wollte.
Jan trat die Flucht nach vorne an. »Erzähl mir etwas von dir«, bat er. »Lebst du hier in Neuss?«
»Im Moment.«
»Und sonst?« fragte Jan.
Vera hob die Schultern. »Mal hier, mal da. Ich komme viel rum, weißt du?«
»Und was tust du so, wenn du viel rumkommst?«
»Mal dies, mal das«, antwortete Vera ausweichend. »Du bist ziemlich neugierig, finde ich. So fragt man Leute aus.«
»Ich versuche nur, mich anzupassen«, antwortete Jan grinsend. Er zündete sich eine Zigarette an, hielt Vera die Schachtel hin und steckte sie achselzuckend wieder ein, als sie den Kopf schüttelte. Wenigstens eine schlechte Angewohnheit, die sie nicht hatte.
Das Essen kam überraschend schnell. Jan bedankte sich, schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß Katrin rechtzeitig genug auftauchen würde, um ihn auszulösen, und sah schweigend zu, wie Vera mit wenig Anstand, dafür aber um so größerem Appetit ihre Mahlzeit in sich hineinzuschaufeln begann. Er mußte nicht fragen, um zu wissen, daß sie offensichtlich schon seit längerer Zeit nichts mehr gegessen hatte.
Katrin kam zurück, als Vera ihre Mahlzeit beendet hatte und sich durch die gewaltige Portion Erdbeereis kämpfte, die den Nachtisch darstellte. Jan hatte den Golf die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen – und zwei Politessen dabei beobachtet, wie sie zwei weitere Strafzettel unter die Scheibenwischer klemmten –, so daß er Katrin schon sah, als sie sich dem Wagen näherte; ganz wie er erwartet hatte, so mit ein paar ›Kleinigkeiten‹ beladen, daß sie fast Mühe hatte, zu gehen. Katrin kaufte leidenschaftlich gerne ein, und heute schien sie dieser Leidenschaft ganz besonders ausgiebig gefrönt zu haben. Jan sah mit einer Mischung aus Ärger und Belustigung zu, wie sie den Wagen mehr wankend als gehend erreichte und sich mehrere Minuten lang damit abmühte, ihre Beute in den viel zu kleinen Kofferraum zu quetschen. Als sie ihn endlich irgendwie zubekommen(und dabei wahrscheinlich die Hälfte ihrer Pakete zerdrückt) hatte, richtete sie sich auf und ließ ihren Blick über den Marktplatz schweifen. Sie sah nicht einmal in die Richtung, in der die Arztpraxis lag. Jan war auf ihre Ausrede gespannt.
Als Katrin in seine Richtung sah, hob er den Arm und winkte. Sie drehte sich noch ein kurzes Stück weiter, sah dann wieder in seine Richtung und setzte sich schließlich mit langsamen Schritten in Bewegung.
Auch Vera hatte sich herumgedreht und warf ihm jetzt einen fragenden Blick zu.
»Meine Verlobte«, erklärte Jan. »Wir waren hier verabredet.«
»Typisch«, seufzte Vera.
»Was?«
»Daß du verlobt bist«, antwortete sie grinsend. »Die guten Männer sind immer schon vergeben.«
»Das gilt umgekehrt ganz genauso«, sagte Jan.
»Wieso?« fragte Vera harmlos. »Ich bin nicht in festen Händen.«
Jan gestattete sich ganz bewußt nicht, über diesen ohnehin schon lauen Scherz zu lachen. Vera versuchte eine Vertrautheit zwischen ihnen herzustellen, die er nicht wollte. Er bedauerte es mittlerweile wirklich, überhaupt mit ihr hierher gekommen zu sein. Er würde Katrin bitten, die Rechnung zu bezahlen, und dann von hier verschwinden, so schnell es ging.
Katrins Schritte wurden schneller, je näher sie kam. Es war zu dunkel, um den Ausdruck auf ihrem Gesicht zu erkennen, aber Jan konnte ihn sich vorstellen. Katrin war schon eifersüchtig, sobald sie ihn auch nur in der Nähe eines weiblichen Wesens sah. Und sie spielte so überzeugend die Furie, daß er sich niemals ganz sicher sein konnte, ob es tatsächlich nur gespielt war.
Sie erfüllte seine Erwartung auch diesmal hundertprozentig,denn bei den letzten Schritten wurde sie wieder langsamer und blieb schließlich beinahe stehen. Der Blick, mit dem sie Vera musterte, war entschieden zu lang, um irgend etwas anderes als unhöflich zu sein, und ihre Stimme war ungefähr so warm wie das Klirren von Eiswürfeln in einem Glas, als sie sich an Jan wandte.
»Ach hier bist du also. Da hätte ich ja lange nach dir suchen können.«
Jan ignorierte diese bodenlose Unverschämtheit und machte eine einladende Geste. »Setz dich. Ich möchte dir jemanden vorstellen.«
Katrins
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