Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
Reifen brannte ebenfalls und sonderte schwarzen, nach Gummi stinkenden Qualm ab; und die Hitze machte es unmöglich zu atmen. Noch ein paar Augenblicke, und das Feuer würde auf das Wageninnere übergreifen, wenn nicht vorher der Tank explodierte. Er hörte jetzt das Heulen einer Sirene. Es kam sehr schnell näher, aber nicht einmal annähernd schnell genug.Wenn er wartete, bis die Polizei da war oder auch nur jemand einen Feuerlöscher holte, wurde der arme Kerl hinter dem Steuer gegrillt.
Jan riß an der Tür, betete, daß sein kleiner Gewaltakt die gesamte Zentralverriegelung demoliert hatte und wäre fast gestürzt, als die Tür tatsächlich nachgab.
Das Feuer loderte höher auf. Eine Flammenzunge streifte Jans Hände. Er keuchte vor Schmerz, warf sich aber trotzdem wieder vor und versuchte eine halbe Sekunde lang vergeblich, den Airbag wie einen Luftballon mit den Fingernägeln zu zerreißen. Als er die Sinnlosigkeit seines Tuns einsah, wich er einen Schritt zurück und sah sich verzweifelt nach etwas Scharfem oder Spitzem um, womit er dieses verdammte Ding zerstechen konnte.
Rings um ihn herum pures Chaos: Menschen rannten durcheinander und schrien aufgeregt, daß er machen solle, daß er hier wegkam, bevor ihm die Kiste um die Ohren flog – aber niemand versuchte auch nur, ihm zu helfen. Das Heulen der Polizeisirene war deutlich näher gekommen, und in das Prasseln der Flammen hatte sich ein neuer unheimlicher Laut gemischt: ein helles, gefährliches Zischen, das unangenehme Bilder hinter seiner Stirn wachrief – Bilder von winzigen, blauen Flämmchen, die sich an einer Benzinleitung entlangfraßen …
Endlich entdeckte er eine lange, gebogene Glasscherbe, klaubte sie auf und stieß mit aller Kraft zu. Das Material des Airbags erwies sich als überraschend zäh. Die Scherbe hatte nicht die geringste Mühe, seine Handfläche zu zerschneiden, aber er mußte drei- oder viermal mit aller Gewalt zustoßen, ehe es ihm gelang, den Airbag zu zerstechen. Und das verdammte Ding platzte nicht etwa wie ein Luftballon, an den man eine Zigarette gehalten hatte, sondern gab seinen Inhalt selbst dann nur höchst widerwillig frei. Jan ließ die Glasscherbe fallen und warf sich mit seinem ganzen Körpergewicht auf den Airbag, bisder schließlich zu einem unansehnlichen faltigen Gebilde zusammensank.
Sofort versuchte Jan, den Fahrer aus dem Wagen zu zerren und verlor weitere zwei oder drei kostbare Sekunden, ehe ihm klar wurde, daß der Mann noch angeschnallt war. Jan warf sich hastig vor, spürte wieder, wie unerträglich heiß es im Inneren des Wagens war, und tastete mit fliegenden Fingern nach dem Verschluß des Sicherheitsgurtes. Die Hitze war mittlerweile so gewaltig, daß er nicht mehr atmen konnte und das Gefühl hatte, sein Gesicht schlüge Blasen.
Die Panik schien ihn alles vergessen zu lassen. Statt den offensichtlich bewußtlosen Mann in den Rautek-Griff zu nehmen, dem man ihm in der Fahrschule eingehämmert hatte (Wann war das gewesen? Vor hunderttausend Jahren?), griff er nach dessen Handgelenken und zerrte ihn ungeschickt vom Sitz. Mit dem Ergebnis, daß der Mann ihm regelrecht entgegenfiel und Jan ihm vermutlich beide Arme auskugelte, als er ihn weiter vom Wagen wegschleifte. Aber immer noch besser, als bei lebendigem Leibe gegrillt zu werden.
So schnell er konnte, zerrte Jan den Bewußtlosen von dem brennenden Wagen weg und sank schließlich keuchend auf die Knie. Alles drehte sich um ihn, und er war nicht sicher, ob das immer schlimmer werdende Stechen in seiner Brust von seinen angebrochenen Rippen oder seinem Herzen stammte. Für einen Moment wurde ihm übel. Die Wirklichkeit schien davonzudriften, als wäre sie in Stücke geborsten, die nun in alle Richtungen und immer schneller davonwirbelten.
Eine Hand berührte seine Schulter, und eine Stimme sagte etwas zu ihm. Er verstand nicht, was, aber allein ihr Klang holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er fand sich auf den Knien hockend und weit nach vorne gebeugt auf der Straße wieder. Es mußte wohl doch mehr Zeit vergangen sein, als ihm bisher bewußt gewesen war, denn das Heulen der Polizeisirenenwar mittlerweile verstummt; der Streifenwagen stand ein paar Meter entfernt da, und der Audi war doch nicht explodiert, denn die Besatzung des Streifenwagens war damit beschäftigt, die Flammen mit zwei kleinen Feuerlöschern zu ersticken. Und nun, da keine unmittelbare Gefahr mehr herrschte, hatten sich auch zahlreiche andere ›Helfer‹ eingefunden,
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