Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
gewandt und sehr ruhig: »Ich möchte, daß du jetzt gehst.«
»Wie bitte?« fragte Katrin. Vera sagte nichts, sondern sah ihn nur mit undeutbarem Ausdruck an, und Jan sagte noch einmal: »Du kannst nicht hierbleiben. Ich gebe dir noch ein bißchen Geld, damit du über den Tag kommst, aber ich möchte, daß du dann gehst.«
»Jan, bist du verrückt geworden?« murmelte Katrin.
Vera hob die Hand. »Nein, laß ihn«, sagte sie. »Er hat ja recht. Ich kann wirklich nicht ewig hierbleiben.«
»Aber wo willst du denn hin?« fragte Katrin.
Vera stand auf und zuckte gleich mit den Schultern. »Diese Frage stelle ich mir so ziemlich jeden Morgen«, sagte sie grinsend. »Aber bis jetzt habe ich noch jedesmal eine Antwort gefunden.«
Jan griff mit der unversehrten Hand in die Hosentasche, aber Vera schüttelte rasch den Kopf. »Laß dein Geld stecken«, sagte sie. »Ihr habt schon mehr für mich getan, als ich erwarten kann. Es war nett bei euch. Man sieht sich.«
Sie ging zur Tür. Katrin sah ihr eine Sekunde lang fassungslosnach, dann sprang sie regelrecht in die Höhe und folgte Vera.
Jan konnte hören, wie die beiden sich draußen im Flur noch einen Moment lang unterhielten, dann fiel die Tür ins Schloß.
Als Katrin zurückkam, war ihr Gesicht zu einer ausdruckslosen Maske geworden, aber ihre Augen sprühten Feuer.
»Bist du jetzt völlig durchgedreht?« fragte sie kalt.
»Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte Jan.
»So? Na, da bin ich aber mal gespannt!«
»Es war nicht besonders freundlich, ich weiß. Aber dieses Mädchen …« Er suchte nach Worten, aber mit wenig Erfolg. »Irgend etwas stimmt nicht mit ihr.«
»Das ist jetzt aber wirklich ein triftiger Grund, um jemanden auf eine solche Art auf die Straße zu setzen«, sagte Katrin spöttisch.
»Sollte sie hierbleiben?« schnappte Jan. Er mußte sich beherrschen, um nicht loszuschreien. »Wie hast du dir das vorgestellt? Sollte sie vielleicht bei uns einziehen?«
»Natürlich nicht«, antwortete Katrin. »Aber wir hätten bestimmt eine … andere Lösung gefunden.«
»Und wie hätte die ausgesehen?« Jan versuchte es mit etwas, womit er normalerweise bei Katrin nicht sehr weit kam, was er in diesem Moment aber dringend brauchte: Logik. »Jetzt überleg doch mal selbst. Wir wissen nicht, wer dieses Mädchen ist. Wir kennen nicht einmal ihren vollständigen Namen. Aber wir wissen daß sie eine ziemlich schräge Type ist. Völlig pleite und höchstwahrscheinlich obdachlos. Wolltest du sie wirklich bei uns aufnehmen?«
»Hast du Angst, daß sie uns bestiehlt?« Katrin versuchte, spöttisch zu klingen, aber ganz gelang es ihr nicht. Jan hatte sie an einer Stelle erwischt, an der ihre Verteidigung brüchig war: ihrem Mißtrauen.
»Wer weiß«, antwortete er. Dann schüttelte er den Kopf.»Nein, wahrscheinlich nicht. Aber da ist … noch etwas anderes.«
Er sollte nicht darüber reden. Alles in ihm warnte ihn, es zu tun. Trotzdem fuhr er fort. »Ich habe dir doch erzählt, daß der Wagen noch nicht gebrannt hat, als ich hingelaufen bin.«
Katrin nickte. »Und?«
»Ich glaube, daß … daß sie den Wagen in Brand gesetzt hat«, sagte er zögernd.
Katrin starrte ihn an. Jan konnte regelrecht sehen, wie sich die Gedanken hinter ihrer Stirn überschlugen. Er rechnete mit jeder Reaktion: von höhnischem Gelächter bis dahin, daß Katrin einfach explodierte.
Sie tat nichts von alledem. Sie starrte ihn nur geschlagene zehn Sekunden lang an, dann schüttelte sie den Kopf und sagte sehr ruhig: »Du bist übergeschnappt.«
Jan floh in den einzigen Raum in der Wohnung, in den ihm Katrin vermutlich nicht folgen würde, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen, sobald sie sich von dem Schock erholt hatte, den seine Worte für sie bedeutet haben mußten. Trotzdem schaltete er nicht nur das Rotlicht ein, sondern schloß – ganz gegen seine sonstige Gewohnheit auch noch die Tür hinter sich ab.
Er stand minutenlang einfach da und sah sich in dem winzigen, mit Fotoschalen, Lampen und technischen Gerätschaften vollgestopften Raum um, ohne eigentlich wirklich etwas zu sehen. Er war so aufgewühlt, daß er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Es war noch lange nicht vorbei. Katrin würde nur Atem holen und dann zu einer neuen, wahrscheinlich noch bösartigeren Attacke ansetzen. Und das Schlimme war, daß er ihr sehr wenig entgegenzusetzen hatte.
Er hatte sich benommen wie ein Idiot. Daß ihm Vera nicht besonders sympathisch war, gab ihm nicht das Recht, sich
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