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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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so aufzuführen. Und daß er glaubte, sie hätte Bertrams Wagen inBrand gesetzt, war geradezu grotesk. Selbst wenn sie verrückt genug war, so etwas Irrsinniges – und vollkommen Grundloses! – zu tun, hätte sie es ganz bestimmt nicht vor den neugierigen Augen Dutzender Zuschauer getan. Und wenn doch, hätte es irgend jemand gesehen!
    Jan rieb sich gedankenverloren die schmerzenden Rippen, schüttelte noch einmal den Kopf und trat schließlich an seinen Arbeitstisch heran. Die Negative von heute nacht warteten.
    Im Grunde hatte er gar keine Lust, die Abzüge zu machen. Die Geschehnisse der letzten Stunde hatten ihm den Spaß an den Aufnahmen gründlich verdorben, und das nahm er Vera wirklich übel. Die Bilder waren gut, verdammt, wenigstens in seiner Erinnerung. Vielleicht die besten, die er je gemacht hatte. Er mußte sich beherrschen, die Abzüge nicht aus purer schlechter Laune heraus zu versauen.
    Vielleicht war das genau das, was er jetzt brauchte: eine Aufgabe, auf die er sich voll und ganz konzentrieren konnte, um all die häßlichen Gedanken und Erinnerungen zu verscheuchen.
    Er spannte den ersten Filmstreifen in den Projektor, legte ein Blatt Fotopapier ein und ließ den Streifen rasch durchlaufen, bis er zu dem ersten Bild der Serie kam, die er gestern nacht von Katrin gemacht hatte.
    Jan stand länger als eine Minute einfach da und starrte das Bild an. Dann hob er, wie betäubt, mühsam, mit steifen, fast roboterhaften Bewegungen, die Hand. Er legte den nächsten Streifen ein und betrachtete auch diese Bilder. Er hatte sich nicht geirrt. Es waren die vielleicht besten Aufnahmen, die er in seinem Leben gemacht hatte. Insgesamt hatte er Katrin, die nackt und im Schlaf zusammengerollt auf der Couch lag, neunmal fotografiert.
    Jan machte Abzüge von allen neun Negativen, vergrößerte die drei besten Fotos auf DIN A4 und legte sämtliche Blätter inden Trockner. Sein Gesicht war noch immer wie Stein, und seine Bewegungen waren sehr ruhig und fast schon überpräzise. Aber ihm war kalt. Furchtbar kalt.
     
    Es klingelte an der Tür, als er die Dunkelkammer verließ. Jan kam gerade noch zurecht, um zu sehen, wie Katrin mit schnellen Schritten im Flur verschwand. Einen Moment später hörte er sie die Tür öffnen und draußen mit jemandem reden, und noch einen Moment später erkannte er auch die Stimme seines unangemeldeten Besuchers. Es war sein Bruder.
    »Peter?« Jan legte die Vergrößerungen mit der belichteten Seite nach unten auf den Tisch und drehte sich zur Tür, genau in dem Moment, in dem sein Bruder hereinkam, vor Energie vibrierend wie immer und mit einem strahlend weißen Lächeln im Gesicht, das seinem Zahnarzt mindestens drei Raten für den neuen Porsche eingebracht hatte. »Das ging ja schnell!«
    »Schnell?« Peter legte den Kopf schräg. »Es ist fast fünf Monate her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.«
    Peter lächelte immer noch – vielleicht hielt er ja jede Sekunde, in der er die Lippen geschlossen hielt, für rausgeschmissenes Geld –, wirkte aber jetzt ausgesprochen verwirrt.
    »Ich rede von meinem Anruf«, sagte Jan.
    »Anruf?«
    »Ich habe bei dir in der Redaktion angerufen«, sagte Jan. »Hat man dir nichts gesagt?«
    »Kein Sterbenswörtchen«, versicherte Peter. »Aber ich glaube, ich hab’ mein Handy auch gar nicht eingeschaltet.«
    »Was tust du dann hier?« Jan tauschte einen verwirrten Blick mit Katrin, erntete aber nur ein Achselzucken. Was auch sonst? Sie war nicht einmal hier gewesen, als er in Peters Redaktion angerufen hatte.
    »Na, wegen dem Unfall, weshalb denn sonst?« erwidertePeter. Er setzte sich, schlug die Beine übereinander und zwinkerte Jan übertrieben verschwörerisch zu. »Ich nehme doch an, ich bekomme ein Exklusiv-Interview?«
    »Exklusiv-Interview?«
    »Jetzt stell dein Licht nicht unter den Scheffel«, grinste Peter. »Ich habe schon mit ein paar deiner Nachbarn gesprochen. Eigentlich weiß ich schon alles. Aber ich hätte es doch gerne aus erster Hand von dir gehört.«
    Allmählich begann Jan zu begreifen. Sein Bruder hatte von dem Unfall gehört und war hierher gekommen, um einen Artikel für seine Zeitung zu schreiben. Peter war seit fünfzehn Jahren Reporter, mit Leib und Seele und großer Begeisterung, aber leider nur mit mäßigem Erfolg. Er hatte als Volontär angefangen und sich mit rekordverdächtiger Langsamkeit in die Lokalredaktion hochgearbeitet, und Jans Meinung nach würde er dort auch bleiben, bis er pensioniert oder kurz

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