Dunkel ist die Sonne
euren Reaktionen zu urteilen, möchte ich feststellen, daß es in gewissen Situationen von Vorteil sein kann, keinen Geruchsinn zu besitzen. Aber natürlich hat alles, was seine Vorteile hat, auch seine Nachteile.“
Etwas von dem weißen Zeug war aus Versehen nicht in die Vertiefungen geraten und lief weiter, in den See hinein. Auf den felsigen Stränden wimmelte es von Vögeln, und viele von ihnen tauchten ins Wasser. Fische, die gegeneinander und gegen die Vögel um das Zeug kämpften, brachten die Mitte des Sees zum Kochen.
Die Gruppe zog das Boot an Land und bahnte sich durch Tausende schreiender, krächzender, kreischender Vögel einen Weg. Diese hüpften oder rannten vor ihnen davon, schlossen sich aber hinter ihnen sofort wieder eng zusammen. Kadaver lagen zu Hunderten herum; auf vielen von ihnen saßen dichtgedrängt Vögel, die an dem Fleisch rissen. Hier und da schwankte einer der Vielfraße im Kreis herum und fiel mit schlaff herunterhängenden Flügeln und glasigen Augen um.
Der Gestank von verwesendem Fleisch war fürchterlich, aber er war nicht so schlimm wie der Geruch der Viren. Federn drehten sich langsam in der Luft und landeten auf den Köpfen der Gruppe oder vor ihr auf dem Boden. Ab und zu wurden die fünf auch mit Kot besudelt. Deyv und Vana hatten Angst, daß sie sich durch die Exkremente infizieren könnten.
Sloosh aber sagte: „Soweit ich weiß, greifen die Viren Menschen nicht an. Natürlich kann ich mich auch irren.“
„Vielen Dank, das ist ja sehr beruhigend“, meinte darauf Deyv.
Schließlich erreichten sie die Berge. Hier streiften sie umher, um nach den Vertiefungen zu suchen. Sie beobachteten, wie in den Tümpeln ein junges Tharakorm entstand, was ein faszinierender Anblick war. Offensichtlich wurde aus einer unzähligen Menge Viren zuerst der Kiel gebildet. Dann entstand der Rumpf, indem die Viren sich in Reihen formierten, wobei jeder Virus mit seinen Nachbarn verbunden war.
„Ich glaubte, die Viren geraten in einen Zustand, in dem ihr Leben sozusagen aufgehoben ist, wenn sie erst mal Stellung bezogen haben“, erklärte Sloosh. „Es ist schon eine wunderbare Sache, so ein Organismus, der sich aus lauter Einheiten zusammensetzt, von denen jede für sich weder Bewußtsein noch Nerven noch wirkliches Leben hat. Meiner Meinung nach bildet sich sogar tief drinnen im Rumpf etwas, was man durchaus als Bewußtsein bezeichnen könnte. Und ganze Stränge von ihnen bilden so etwas Ähnliches wie Nerven. Natürlich ist das Gehirn, wenn man es so nennen kann, bewußtlos. Aber wenn das Tharakorm, das Schiffstier, vollständig fertig ist, dann ist es auch bereit, seine Symbionten, die Khratikl aufzunehmen.“
Deyv sah sich nervös um. „Wo sind sie?“
„Du brauchst keine Angst zu haben. Noch nicht jedenfalls.“
Eine Anzahl der Tümpel enthielt nur die noch ungeformte, klebrig aussehende Flüssigkeit, in der viele Vögel, sowohl tote als auch lebendige, lagen. Einige Tümpel beherbergten halb gelegte – oder besser gesagt, halb geformte – Kiele. In anderen befanden sich fast fertige Tharakorm, die jetzt aber keinen Gestank mehr von sich gaben. Erst als sie den Fuß des Berges erreicht hatten, wo der Geruch die beiden Menschen zu ersticken drohte und ihnen das Wasser in die Augen schießen ließ, fanden sie, was sie suchten.
Es stand auf dem Boden einer tiefen, ausgedehnten Senke und wurde von zwei Pfeilern aus dem harten Material gestützt. Sloosh erklärte, daß diese vom Rumpf entfernt würden, sobald die Zeit für den Abflug gekommen war. Das Geschöpf hatte einen langen und ziemlich breiten Rumpf. Der vordere Teil war wie der eines Schiffes geformt, aber der hintere war stark erweitert, um ein fast quadratisches Heck zu bilden.
„Damit der Wind viel Fläche hat, um es anzutreiben“, bemerkte Sloosh.
Deyv schätzte, daß es etwa fünfunddreißig Meter lang, knapp zehn Meter hoch, die Mäste nicht eingerechnet, und zwölf Meter breit, das erweiterte Heck nicht eingerechnet, war. Es besaß drei mastähnliche Auswüchse von einer Höhe von etwa drei Metern. Die Segel, die so dünn waren, daß das Licht durchschien, waren unten an der Bodennock befestigt. An den Nocken liefen Taue bis zu den Segeln hinunter. Das ganze Schiff bestand aus einem ganz leichten Material, das halbdurchsichtig war.
Als er näher herangegangen war, um es sich genauer anzusehen, weil die darüber wimmelnden Vögel ihm die Sicht versperrten, bemerkte Sloosh an Masten und Nocken knotige
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