Dunkel ueber Longmont
Irgendwo jedoch, in einem Kloster auf den Inseln jenseits von Orwynne, schreibt ein Partner alles auf, was der Days erfuhr. Nur weil die beiden Days die vollkommene Beherrschung ihres Ichs an ihren Orden abgetreten hatten, konnten sie beide überleben.
Daher war es seltsam, mit anzusehen, wie ein Days Wein in sich hineinkippte. Es war ein außergewöhnlich selbstsüchtiger Akt.
Gaborn kostete seinen Wein. Wirrbeerenwein war in Wahrheit nicht aus irgendeiner Beere hergestellt, sondern lediglich aus süßen Trauben, die mit Kräutern behandelt worden waren – wie zum Beispiel Eisenkraut, Nachtkerze und Holunderblüten – , die das Denken anregten und die schädlichen Wirkungen des Alkohols verringerten. Er schmeckte würziger, weniger süß als gewöhnlicher Wein und war nahezu unerschwinglich. Sein Name war ein Scherz: ironischerweise verwirrte Wirrbeerenwein nicht den Verstand, sondern regte ihn an. Wenn man sich berauschte, überlegte Gaborn, dann am besten an Erkenntnis.
Hier im Gasthaus, bei den angenehmen Gerüchen der Zubereitung von Brot und Schweinefleisch, fühlte Gaborn sich ein wenig wohler. Er nippte ein paarmal an seinem Wein, stellte fest, daß er überraschend gut war, jedoch nicht gleich solches Verlangen auslöste wie der Jahrgang, den der Days in sich hineinschüttete.
Gaborn war trotzdem nach wie vor besorgt. Draußen, vor einer Stunde, hatte er einen Anflug von Macht verspürt. Er hatte gerade seinen Leibwächter verheiratet und sich selbst dazu gratuliert. Doch hier drinnen in der Herberge kam ihm das alles… sonderbar vor. Wie eine impulsive, kindische Handlung.
Auch wenn er eines Tages Herrscher über eines der großen Reiche der Welt sein würde, unter normalen Umständen hätte er seine Stellung nie dazu benutzt, den Ehestifter zu spielen.
Gaborn überlegte. Man hatte ihm die Verantwortung aufgebürdet, eines Tages König zu werden. Aber was für einen König würde er abgeben, wenn er solch törichte Dinge tat?
Im Haus des Verstehens, im Saal des Herzens, hatte Lehrmeister Ibirmarle einmal gesagt: »Nicht einmal ein Runenlord kann über die Dinge des Herzens bestimmen. Und nur ein Narr würde es versuchen.«
Und doch hatte Gaborn Borenson überredet, sich eine Frau zu nehmen.
Was. wenn er sie am Ende haßt? überlegte Gaborn. Wird er sich daran stoßen, was ich getan habe?
Ein so verwirrender Gedanke. Und was war mit Myrrima?
Würde sie Borenson lieben?
Der Days machte sich über seinen zweiten Becher Wein her und leerte ihn trotz seiner Versuche, sich zurückzuhalten, in wenigen Zügen.
»Ich habe doch ein gutes Werk getan, oder?« fragte Gaborn.
»Ich meine, Borenson ist ein guter Mann, oder etwa nicht? Er wird sie lieben.«
Der Days lächelte zurückhaltend und beobachtete Gaborn aus zusammengekniffenen Augen. »Bei unsereins gibt es ein Sprichwort: Gute Taten verheißen eine gute Zukunft.«
Gaborn dachte über die Worte »bei unsereins« nach. Die Days waren zwar Menschen, hielten sich aber für etwas Besonderes. Vielleicht hatten sie recht. Ihre Dienste für die Zeitlords verlangten große Opfer. Sie entsagten Heim und Familie und der Ergebenheit an irgendeinem König. Statt dessen studierten diese geheimnisvollen Männer und Frauen die großen Lords, schrieben die Chroniken , veröffentlichten darin die Taten aus dem Leben eines Mannes, wenn er starb, und übten in jeder anderen Hinsicht Zurückhaltung bei den üblichen Lastern.
Gaborn traute diesen Beobachtern mit ihren heimlichtuerischen Blicken nicht recht. Sie gaben die Zurückhaltung bei den Angelegenheiten der Menschen nur vor. dessen war Gaborn sicher. Jeder Runenlord wurde von einem Days begleitet, der seine Worte und Taten aufzeichnete.
Gelegentlich, wenn zwei Days sich begegneten, berichteten sie einander in verschlüsselten Worten. Gaborns Vorfahren hatten die Days über Generationen hinweg studiert und versucht, ihre Codes zu enträtseln.
Wie zurückhaltend waren sie wirklich? Gaborn vermutete, daß die Days gelegentlich schon Geheimnisse an befeindete Könige verraten hatten.
Wenn die Days als Gruppe sich jedoch in Kriegen auf eine Seite schlugen, hatte weder Gaborn noch sonst wer jemals entscheiden
können, wem sie ihre Ergebenheit entgegenbrachten.
Erkennbare Fronten wurden nicht gezogen. Schlechte Könige profitierten von den Spionagediensten der Days ebensooft wie gute. Und kein König konnte ihnen entgehen. Einige Könige hatten versucht, die sich ungefragt einmischenden
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