Dunkel ueber Longmont
Augenblick kniete die Prinzessin im staubigen Innenhof über einem Feldbett, auf der die Amme lag, die sich von Kindheit an um sie gekümmert hatte. Die kräftige Frau namens Dewynne schwitzte trotz des kühlen Abends vor Nervosität. Die hohen Festungsmauern legten alles in Schatten.
Sylvarrestas kraftvolle Stimme hallte quer durch den Innenhof: »Dewynne, bist du sicher, daß du das schaffst?«
Dewynne lächelte ihn matt an, ihr Gesicht starr vor Angst.
»Wir alle kämpfen mit den Mitteln, die uns gegeben sind«, erwiderte sie leise. Iome hörte die Liebe aus ihren Worten heraus, die Liebe für König Sylvarresta. Der Oberste Annektor, Erin Hyde, trat, ein Zwingeisen begutachtend, zwischen Dewynne und den König. Der Stab war ein Brandeisen aus rötlichem Blutmetall. Er war einen Fuß lang und mit einer Rune versehen, die man in einen zollbreiten Kreis an einem Ende eingetrieben hatte. Hyde drückte die Rune sachte gegen Dewynnes Unterarm.
Hyde begann seinen Zauberspruch und sprach mit hoher Stimme – seine Worte glichen eher dem zwitschernden Gesang eines Vogels als menschlichen Lauten. Ein Wort folgte so rasch auf das andere, daß Iome sie kaum voneinander unterscheiden konnte – die Annektoren nannten dies einen Gesang der Kraft.
In Verbindung mit den Runen, die in das Zwingeisen geschlagen waren, entzog der Gesang einem Übereigner seine Eigenschaft. Das Symbol auf diesem Zwingeisen erinnerte Iome an einen Adler, der mit einer riesigen Spinne im Schnabel da hinschwebte. Doch die geschwungenen Linien der Rune schwankten in ihrer Stärke, waren in seltsamen, dennoch natürlich wirkenden Winkeln gekrümmt. Das Symbol für Durchhaltevermögen. Dewynne war stets gesund gewesen – keinen einzigen Tag ihres Lebens hatte sie krank im Bett gelegen. Jetzt benötigte Lord Sylvarresta ihr Durchhaltevermögen in der Schlacht, und zwar dringend, für den Fall, daß er ernsthaft verwundet wurde. Der Annektor zirpte weiter mit seiner hohen Stimme, dann stieß er plötzlich ein kehliges Knurren aus und gab erdige Laute von sich – wie brodelnde Lava, wie das Brüllen eines wilden Löwen.
Das Ende des Zwingeisens begann zu glühen. Das Blutmetall erblühte von einem matt-rostigen Rosa zu einem grellen Titanweiß.
Dewynne schrie: »Ah, bei den Mächten, tut das weh!« und versuchte, sich gegen die brennende Rune zu sträuben. Der Schweiß lief ihr in Strömen übers Gesicht, als hätte sie heftiges Fieber. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Ihr Kiefer bebte, und ihr Rücken drückte sich vom Feldbett hoch. Sie begann zu keuchen.
Iome hielt die Frau fest, zwang sie stillzuliegen. Ein kräftiger Soldat packte Dewynnes Arm, damit sie den Kontakt zum Zwingeisen nicht unterbrechen und den Zauber vereiteln konnte.
»Sieh meinen Vater an«, sagte Iome, um Dewynne von den Schmerzen abzulenken. »Sieh deinen Lord an! Er wird dich beschützen. Er liebt dich. Mein Vater hat dich stets geliebt, genau wie du ihn geliebt hast. Er wird dich beschützen. Sieh einfach immer zu deinem Lord hinüber!«
Iome warf dem Annektor einen grimmigen Blick zu, woraufhin dieser ein wenig zur Seite trat und Dewynne freie Sicht gewährte.
»Und ich dachte, es wäre schmerzhaft, ein Kind zu gebären!«
schluchzte Dewynne. Trotzdem drehte sie sich um und blickte stolz zu Lord Sylvarresta. Das war auch notwendig. Es war notwendig, daß sie sich erinnerte, warum sie diese Schmerzen durchleiden mußte. Es war notwendig, daß sie dies wollte, daß sie ihr Durchhaltevermögen aus freien Stücken aufgab – mehr als alles andere auf der Welt. Und die einzige Möglichkeit, ihre Konzentration auf dieses Verlangen gerichtet zu halten, bestand darin, ihr den Gegenstand ihrer Hingabe vor Augen zu führen.
König Sylvarresta, ein kräftiger Mann Mitte Dreißig, saß mit entblößtem Oberkörper auf einem Stein im Innenhof. Sein langes, kastanienbraunes Haar fiel über seine Schultern, und sein lockiger Bart war säuberlich gestutzt. Gegenwärtig versuchte sein Waffenmeister ihn dazu zu bewegen, ein ledernes Wams anzulegen, doch Sylvarrestas Oberkörper mußte nackt bleiben, damit der Annektor die Runen der Macht anbringen konnte.
Der Kanzler des Königs, Rodderman, verlangte, daß Lord Sylvarresta jetzt auf die Mauer hinaustrat, um seinem Volk Mut zu machen. Wohingegen der alte Weise des Königs, Chamberlain Inglorians, ihn zum Bleiben drängte, damit er so viele Gaben als möglich empfangen konnte.
König Sylvarresta schien dies zu verwirren, er entschloß
Weitere Kostenlose Bücher