Dunkel ueber Longmont
einhandelte.
Trotzdem bediente er sich bei dem Essen, als wäre es seines, und warf ihr einen Blick zu, der besagte: »Das gehört mir.«
Das arme Ding hatte dem stummen Tadel nichts entgegenzusetzen und lief davon. Sie hielt die Arme eng am Körper, vorsichtig wie all jene, die eine Gabe des Tastsinns abgegeben haben. Gaborn nahm sich ein Messer und schnitt einen Schenkel von einer Gans, die auf einem anderen Teller lag. Er schob den Dolch in den Gürtel seines Waffenrocks und stopfte sich soviel Fleisch wie möglich in den Mund. Danach entkorkte er eine Flasche Wein, die auf dem Tisch stand, spülte das Gänsefleisch hinunter und war überrascht von der Qualität des Weins. Einer der roten Jagdhunde des Königs hatte faul unter dem Tisch gelegen. Er sah Gaborn essen, kam hoch, ließ sich mit erwartungsvollem Blick in den Augen zu Gaborns Füßen nieder und wedelte beiläufig mit dem Schwanz über den Boden.
Gaborn warf ihm den Gänseknochen zu, an dem noch Fleisch hing, dann schnappte er sich einen weiteren Laib Brot und fing an zu essen.
Die ganze Zeit über rasten seine Gedanken. Zwar sollte jemand kommen, der ihn aus der Burg führen sollte, trotzdem wußte er, daß es nicht einfach werden würde. Außerdem wollte er sich nicht gänzlich auf andere verlassen. Er ging verschiedene Pläne durch. Burg Sylvarresta besaß einen Burggraben, einen Fluß, der an der Ostmauer entlangfloß, und ein Wasserrad für den Getreidemühlenantrieb.
An der Mühle gab es bestimmt ein Bootshaus, von wo aus die königliche Familie Ruderpartien unternahm. Oft führte von der Burg zum Bootshaus ein unterirdischer Gang.
Aber das wurde bestimmt von Raj Ahtens Truppen genau beobachtet. Der Wolflord hatte Nomen bei sich, die im Dunkeln sehen konnten. Dieser Fluchtweg versprach wenig Aussicht auf Erfolg.
Vielleicht gab es einen Abwasserkanal für das Küchenpersonal, der mit dem Fluß verbunden war. Aber das war unwahrscheinlich. Aus den Küchen wanderte niemals etwas in den Abfall. Knochen wurden an die Hunde des Königs verfüttert. Gemüsereste und Tierinnereien kamen zu den Schweinen, Häute zu den Gerbern. Was übrigblieb, war für die Gärten.
Gaborn mußte durch den Fluß fliehen. Der Versuch, über Land zu entkommen, war zu riskant. Die Kampfhunde würden ihn aufspüren.
Und er konnte nicht bleiben, konnte sich nicht über Nacht in der Burg verstecken. Er mußte bald verschwinden. Sobald es dunkel und ruhig wurde in der Stadt, würden Raj Ahtens Jäger, von Rache getrieben, nach ihm zu suchen beginnen.
Die hübsche Dienstmagd kam mit einer anderen Flasche Wein und Brot und Fleisch zurück, als Ersatz für das, was Gaborn genommen hatte.
Gaborn sprach sie von hinten an. »Entschuldige. Ich bin Prinz Orden. Ich muß zum Fluß. Kennst du einen Weg, den ich nehmen kann?« Fast augenblicklich kam er sich dumm vor. Ich hätte ihr meinen Namen nicht sagen sollen, dachte er.
Doch er hatte es für nötig gehalten, ihr die Art seiner mißlichen Lage nachdrücklich klarzumachen – und ihr seinen Namen zu verraten, war dazu der schnellste Weg.
Das Mädchen sah ihn an, das Licht der Lampen spiegelte sich in ihren braunen Augen. Gaborn fragte sich, wieso sie sich ihrer Gefühle beraubt hatte. Eine fehlgeschlagene Liebesaffäre, der Wunsch, nie wieder zu berühren oder berührt zu werden?
Das Leben konnte nicht einfach sein für sie. Wer Gaben des Tastsinns abtrat, fühlte weder Wärme noch Kälte, weder Schmerz noch Wonne. Alle Sinne stumpften ein wenig ab Gehör, Augenlicht und Geruchssinn.
Aus diesem Grund war das Leben für diese Menschen so leer, als wären sie opiumsüchtig. Oft verbrannten oder schnitten sie sich, ohne es zu merken. In der Kälte des Winters war es möglich, daß sie Frostbeulen bekamen und sie ertrugen, ohne eine Träne zu vergießen.
Gaborn wußte nicht, wem sie ihre Gabe des Tastsinns überlassen hatte ob der König sie erhalten hatte, die Königin oder Iome. Er war jedoch sicher, daß König Sylvarresta umgebracht werden würde. Wahrscheinlich innerhalb der nächsten Stunden, noch vor der Morgendämmerung. Es sei denn, Raj Ahten wollte den Mann zuerst noch foltern.
Würde dieses arme Ding heute abend vor einem Feuer sitzen und auf die erste Berührung von Wärme auf ihrer Haut warten? Oder würde sie draußen im kalten Nebel stehen und spüren, wie er ihr übers Gesicht spielte? Das Leben konnte nicht einfach sein für sie.
»Es gibt einen Weg nach hinten raus«, erklärte sie. Ihre Stimme klang
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