Dunkel ueber Longmont
Schach zu halten. Er hatte etwas schlafen wollen. Während der vergangenen drei Tage war er fast überhaupt nicht dazu gekommen. In Wahrheit brauchte er fast keinen Schlaf. Als Kind hatte er drei Gaben des Durchhaltevermögens bekommen, und glücklicherweise lebten jene noch, die sie ihm abgetreten hatten. Daher war Gaborn wie alle, die über ein großes Durchhaltevermögen verfugten, in der Lage, auf dem Rücken eines Pferdes seinen Verstand zur Ruhe kommen zu lassen, während er sich wie in einem Wachtraum bewegte. Dennoch brauchte er manchmal ein Nickerchen.
Essen war eine andere Geschichte. Selbst ein Runenlord mit großem Durchhaltevermögen brauchte Nahrung. Im Augenblick krampfte Gaborns Magen sich zusammen. Aber ihm blieb fast keine Zeit mehr.
Schlimmer noch, er war verwundet – nichts Ernsthaftes, doch der Pfeil hatte seine rechte Schulter durchbohrt. Seinen Schwertarm. Er hatte ihn verbunden und gesäubert, aber das verdammte Ding pochte und brannte.
Gaborn hatte keine Zeit, sich ums Essen oder um seinen Arm zu kümmern. Was er im Augenblick brauchte, war eine Tarnung.
Er hatte einen von Raj Ahtens Kundschaftern getötet und drei seiner Frowth-Riesen. Seine Pfeile hatten ein halbes Dutzend Kampfhunde erledigt.
Raj Ahtens Reiter würden sich an Gaborn rächen wollen. Er saß in der Klemme. Er war keineswegs sicher, ob ihm die Flucht überhaupt gelang, selbst wenn er eine Stunde wartete, bis es völlig dunkel war. Gaborn verfügte über zwei Gaben des Geruchssinns, doch war das nichts im Vergleich zu den Nasen einiger Soldaten von Raj Ahten, die feiner waren als die eines Hundes. Sie würden ihn aufspüren.
Bei aller Zuversicht, die er gegenüber Iome an den Tag gelegt hatte, hatte Gaborn fürchterliche Angst.
Trotzdem ging er die Dinge eines nach dem anderen an. Er roch Essen, das in den Küchen der Übereigner zubereitet wurde, und rannte durch eine breite Bohlentür. Ihr Messinggriff fühlte sich lose an in seiner Hand.
Er fand sich nicht in der Küche wieder, sondern im breiten Eingang des Speisesaals. Rechts von der Tür konnte er, vorbei an mehreren schweren Balken, in die Küchen hineinblicken, wo die Feuer wie Schachtöfen brannten. Mehrere gerupfte Gänse hingen neben Käse, Knoblauchzöpfen, geräucherten Aalen und Würsten von den Deckenbalken herab. In einem der Kessel dicht am Feuer hörte er eine Suppe köcheln. Der Duft von Estragon, Basilikum und Rosmarin hing in der Luft.
Zwischen ihm und den Küchen befand sich ein Arbeitstisch, und dort stand ein junges, blindes Mädchen und legte Eier, Steckrüben und Zwiebeln auf eine riesige Metallplatte.
Unten, zu ihren Füßen, spielte eine gelbbraune Katze mit einer verängstigten Maus.
Weiter vorn weitete sich der Raum zu den dicken, von Alter und Schmutz schwarzen Plankentafeln mit Bänken zu beiden Seiten. Auf allen Tischen brannten kleine Öllampen.
Die Bäcker und Köche von Burg Sylvarresta waren fleißig bei der Arbeit, luden Brotlaibe und Schalen mit Früchten auf die Tische und belegten Platten mit Fleisch. Während die übrigen Gefolgsleute Sylvarrestas zu den Mauern gerannt waren, um die erwartete Schlacht zu begaffen, wußten die Köche hier, worin ihre Pflicht bestand: in der Sorge um die armen Teufel, die dem Hause Sylvarresta Gaben abgetreten hatten.
Wie in den meisten Küchen für Übereigner bestand das Personal größtenteils aus denen, die selbst Gaben abgetreten hatten: die Häßlichen, die ihre Schönheit aufgegeben hatten, bedienten an den Tischen und waren in den Küchen tonangebend. Die Stummen und Tauben hielten die Bäckereien in Betrieb. Die Blinden und jene, die weder Geruchs-noch Tastsinn besaßen, fegten die Dielenböden und schrubbten die verschmorten Kessel.
Gaborn bemerkte sofort, wie still es in der Küche zuging.
Obwohl ein Dutzend Menschen geschäftig durcheinanderlief, sprach, von einer knappen Order da und dort abgesehen, niemand. Diese Menschen hatten fürchterliche Angst.
Ein buntes Durcheinander von Gerüchen lag in der Luft.
Frisches Fleisch und frisches Brot wetteiferten mit dem Gestank von schimmelndem Käse, verschüttetem Wein und ranzigem Fett. Es war eine schaurige Zusammenstellung, trotzdem lief Gaborn das Wasser im Munde zusammen.
Er eilte in den Speisesaal. Ein schmaler Gang dahinter führte zu den Backöfen. Gaborn roch frisches, duftendes Brot, das noch dampfte.
Er schnappte sich einen heißen Laib vom Tisch, womit er sich den finsteren Blick einer Dienstmagd
Weitere Kostenlose Bücher