Dunkel ueber Longmont
in Shemnarvalle in die Enge getrieben worden war, so erzählte man sich, habe Raj Ahten seine Frauen und Kinder in ihrem Sommerwohnsitz gefangengenommen und damit gedroht, die Söhne des Sultans über die Mauern des Palastes zu katapultieren. Der Sultan habe darauf reagiert, indem er sich auf die Palastmauer gestellt, sich in den Schritt gefaßt und gerufen habe: »Nur zu, ich verfüge über Hammer und Amboß, um bessere Söhne zu zeugen!« Der Sultan hatte viele Söhne, und es hieß, in jener Nacht, als sie alle bei lebendigem Leib verbrannt wurden, gellten ihre grauenhaften Schreie durch die Dunkelheit, denn Raj Ahten habe gewartet, bis das Geschrei der Knaben nachgelassen hätte, dann erst habe er die lichterloh brennenden Körper über die Burgmauern katapultiert. Der Sultan wollte sich zwar nicht ergeben, doch seine Königliche Leibwache habe die Schreie nicht mehr ausgehalten, also hätten seine eigenen Leute die Tore geöffnet.
Als Raj Ahten dann eingeritten sei, habe er beschlossen, an dem Sultan ein Exempel zu statuieren. Was danach geschehen sei, konnte Iome nicht sagen. In zivilisierten Ländern wurde über solche Dinge nicht gesprochen.
Man wußte jedoch, daß Raj Ahten über die Könige, die er besiegte, bereits zu Gericht saß, noch bevor er seine Kriege überhaupt begann. Er hatte eine klare Vorstellung, wen er umbringen, wen er versklaven und wen er zur Reue zwingen würde.
Iomes Herz klopfte. Ihr Vater war ein Eidgebundener Lord, ein Mann von Anstand und Ehre. Ihrer Ansicht nach war er der einfühlsamste Herrscher aller Königreiche in Rofehavan.
Und Raj Ahten war der finsterste Eroberer, der seit achthundert Jahren auf Erden wandelte. Er behandelte keinen König als seinesgleichen und betrachtete alle Welt als seine Untertanen. Die beiden konnten sich den Thron von Heredon unmöglich teilen.
Raj Ahten zog den Kriegshammer, wie ihn Reiter trugen, aus dem Futteral auf seinem Rücken. Es war ein Ding mit langem Griff, fast so groß wie er selbst.
Er stemmte ihn auf das Pflaster zu seinen Füßen, verschränkte die Hände auf seinem Heft, stützte sein Kinn auf einen Knöchel und zeigte ein amüsiertes Lächeln.
»Es gibt da einiges, was zwischen uns steht, zwischen Euch und
mir,
Sylvarresta«,
sagte
Raj
Ahten.
»Meinungsverschiedenheiten.«
Er deutete mit einem Nicken auf die Straße hinter sich. »Sind das Eure Leute?«
Der riesige Karren, den Iome über die Felder hatte holpern sehen, hielt jetzt zwischen den Geschäften aus grauem Mauerwerk an. Im Wagen saßen Männer – alles Soldaten, wie man an ihren harten Gesichtern erkennen konnte. Als sie sich der Laterne näherten, erkannte Iome zu ihrem Entsetzen einige von ihnen wieder – Unteroffizier Deliphon, Waffenmeister Skallary. Gesichter, die sie seit Jahren nicht gesehen hatte.
Chemoise, die hinter Iome stand, stockte der Atem. Sie stieß einen Schrei aus und stürzte vor. Ihr Vater, Eremon Vottania Solette, lag ganz hinten im Wagen, ein zerstörter Mann, der nicht mal mit den Augen blinzelte. Sein Rücken war grausam gekrümmt, und seine zerschundenen Hände zu nutzlosen Fäusten geballt. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, sämtliche Muskeln steif und starr wie in der Totenstarre. Iome lief Chemoise ein paar Schritte weit hinterher, doch näher traute sie sich nicht an Raj Ahten heran.
Aber selbst aus dreißig Schritt Entfernung konnte sie den Gestank und Schmutz der Männer riechen. Viele starrten leer und blöde vor sich hin. Einigen hing das Kinn vor Erschöpfung schlaff herab. Jedem der Soldaten war eine der »Hauptgaben«
Geistes—
oder
Muskelkraft,
Anmut,
Stoffwechsel oder Durchhaltevermögen – genommen, wodurch man sie unschädlich gemacht hatte.
Als Chemoise ihren Vater weinend an die Brust drückte, stellte Ault sich mit einer flackernden Fackel neben sie. Die Gesichter im Wagen wirkten im schwankenden Licht entsetzlich bleich.
»Die meisten von ihnen waren einmal meine Leute«, räumte König Sylvarresta vorsichtig ein. »Ich habe sie aber aus meinen Diensten entlassen. Es sind freie Soldaten, Unabhängige Ritter.
Ich bin nicht ihr Lord.«
Sein Leugnen klang wenig überzeugend. Zwar waren alle Männer im Wagen Unabhängige Ritter, Ritter, die sich mit einem Eid dazu verpflichtet hatten, alle Wolflords wie Raj Ahten zu vernichten. Und obwohl man der Ansicht war, daß ein solcher Eid alle anderen Treueide an einen einzelnen Lord außer Kraft setzte, war es in Wahrheit so, daß Iomes Vater als Schutzherr
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