Dunkel ueber Longmont
Zeitpunkt dienen zu können. Iomes Vater hatte sich in diesem Punkt lange nicht entscheiden können. Als er dann vor zwei Tagen zwei Gaben der Geisteskraft verloren hatte, war der König vorsichtig geworden. Was er vergessen hatte, bereitete ihm große Sorgen. Er befürchtete, Fehler zu machen.
König Sylvarresta betrachtete zärtlich seine Tochter. »Das Leben«, meinte er leise, »ist so schön. Meinst du nicht auch?«
Iome nickte stumm.
Er fuhr leise fort: »Das Leben, Iome… ist eigenartig und schön, voller Wunder, selbst in den dunkelsten Stunden.
Davon war ich stets überzeugt. Man muß sich für das Leben entscheiden, wenn man die Möglichkeit dazu hat. Laß uns weiterleben, in der Hoffnung, unserem Volk damit zu dienen.«
Iome zitterte. Sie hatte Angst, daß er die falsche Wahl getroffen hatte, und befürchtete, ihr Tod und der ihres Vaters würden ihrem Volk mehr nützen.
Der König wandte sich an Ault. »Öffnet das Tor, und bringt uns ein paar Laternen. Wir werden etwas Licht benötigen.«
Der stämmige Kommandant nickte ernst. Iome sah ihm an den Augen an, daß er lieber sterben als mit ansehen wollte, wie Sylvarresta sein Königreich verlor. Er war mit der Entscheidung des Königs nicht einverstanden.
Aber sie wußte, ihr Vater hatte das Gefühl, richtig zu handeln.
Ault salutierte und tippte mit der flachen Seite seines Schwertes an seine eiserne Kappe. Ihr werdet immer mein Lord sein , besagte die Geste.
König Sylvarresta nickte ihm kurz zu. Die Wachen entriegelten die Tore, jede packte einen Griff und stieß die Flügel nach außen auf.
Der Eroberer saß auf seinem grauen Hengst mit weißen Flecken auf dem Bauch. Er war umringt von seinen Wachen.
Sein Days, ein großer, herrischer Mann mit ergrauenden Schläfen, wartete hinter ihm. Die Pferde des Wolflords waren große, edle Tiere. Iome hatte bereits von dieser Rasse gehört, aber noch nie eines gesehen. Sie wurden Prachtpferde genannt und aus dem fast sagenhaften Königreich Toth jenseits des Caroll-Meeres importiert.
Raj Ahten selbst sah königlich aus. Seine schwarze Rüstung bedeckte seinen Körper wie glitzernde Schuppen, die ausladenden Eulenflügel auf seinem Helm lenkten das Auge auf sein Gesicht. Er blickte den König und Iome ohne jede Rührung an.
Seine Züge waren weder alt noch jung, weder richtig männlich oder weiblich, wie es bei den Menschen üblich war, die viele Gaben der Anmut von Personen beiderlei Geschlechts übernommen hatten. Und doch war er wunderschön, auf so brutale Art wunderschön, daß Iomes Herz sich danach verzehrte, in seine schwarzen Augen zu blicken. Er hatte ein Gesicht, das man vergötterte, ein Gesicht, für das man starb. Sein Kopf schwankte kaum merklich von einer Seite zur anderen, wie oft bei jenen, die viele Gaben des Stoffwechsels besaßen.
»Sylvarresta«, sagte er von seinem Pferd herab, und ließ alle Titel weg, »ist es nicht üblich, daß man sich vor seinem Lord verbeugt?«
Raj Ahtens Stimme war von einer solchen Kraft, daß Iome sich fast so fühlte, als hätte man ihr die Beine unterm Körper weggetreten. Sie hatte keinerlei Kontrolle über sich und fiel nieder, um sich als Opfer auszuweisen, obwohl eine Stimme in ihrem Hinterkopf flüsterte: Töte ihn, bevor er dich tötet.
Iomes Vater fiel auf ein Knie und rief: »Verzeiht, mein Lord.
Willkommen auf Burg Sylvarresta.«
»Sie heißt jetzt Burg Raj«, verbesserte Raj Ahten.
Hinter Iome war ein metallisches Klirren zu hören, als die Wachen des Bergfrieds eine Laterne aus dem Wachzimmer brachten.
Raj Ahten schaute sie einen Moment aus starren Augen an, während der Schein des Feuers sich in seinen Augen spiegelte, dann sprang er leichtfüßig vom Pferd. Er ging auf Sylvarresta zu.
Er war groß, dieser Wolflord, einen halben Kopf größer als der König, dabei hatte sie ihren Vater immer für einen hochgewachsenen Mann gehalten.
In diesem Augenblick packte Iome eine fürchterliche Angst.
Sie wußte nicht, was sie zu erwarten hatte. Raj Ahten konnte mit einer kaum erkennbaren Bewegung sein Schwert herausreißen und sie beide enthaupten. Sie hätte nicht einmal Zeit, zurückzuweichen.
Man vermochte unmöglich zu ahnen, was dieser Mann plante. Im Laufe der letzten paar Jahre hatte er sämtliche Königreiche des Südens in Indhopal erobert und in erschreckendem Tempo an Macht gewonnen. Er konnte in seiner Freundlichkeit großzügig sein und unmenschlich in seiner Grausamkeit.
Nachdem der Sultan von Aven in seinem Winterpalast
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