Dunkel ueber Longmont
immer als übelriechendes Häufchen Elend lag. »Nicht einmal, um ihm das Leben zu retten?«
Da wußte sie es. Sie wußte, daß ihr Vater ihr raten würde, sich auf diesen Handel nicht einzulassen. »Nein«, erwiderte Iome schaudernd.
»Es ist grauenhaft, einen Idioten den Folterern zu überlassen.
All die Qualen, die dein Vater zu erleiden hätte, ohne je zu begreifen, warum, ohne je zu wissen, daß es je so etwas gibt wie den Tod, der ihm Erleichterung verschaffen könnte, während die Folterknechte jedesmal deinen Namen aussprechen, wenn sie ihn mit glühenden Eisen berühren, so daß er mit der Zeit schon bei der Erwähnung deines Namens vor Schmerzen schreien wird. Es wäre wirklich entsetzlich.«
Die Grausamkeit, die dieser Idee innewohnte, ließ Iome betäubt zurück. Sie sah Raj Ahten an, während ihr das Herz brach. Sie konnte nicht ja sagen.
Der Wolflord nickte einem seiner Männer zu. »Bring das Mädchen rein.«
Die Wache verließ den Saal und kehrte kurz darauf mit Chemoise zurück. Mit Chemoise, die eigentlich im Bergfried der Übereigner hätte sein sollen, wo sie ihren Vater tröstete.
Mit Chemoise, die in dieser Woche schon so viel durchgemacht, so viel an den Eroberer verloren hatte.
Woher ahnte Raj Ahten, was Iome für ihre geliebte Freundin empfand? Hatte sie das Mädchen mit einem Blick verraten?
Chemoise hatte die Augen vor Angst weit aufgerissen. Sie fing vor Entsetzen an zu schluchzen, als sie den König auf dem Boden liegen sah. Kreischte, als Raj Ahtens Mann sie an der zerbrochene Fenster führte und dort Anstalten machte, sie hinauszuwerfen.
Iome stockte der Atem, als sie mit ansehen mußte, wie ihre Freundin aus Kindertagen vor Furcht zu stammeln begann.
Zwei Menschenleben. Raj Ahten würde zwei Menschen umbringen – das Mädchen und ihr ungeborenes Kind.
Chemoise, vergib mir den Verrat, wollte Iome sagen.
Denn sie wußte aus tiefster Seele, daß es falsch war, sich zu ergeben. Hätte sich niemals jemand aufgegeben, Raj Ahten wäre längst tot. Aber wie wenig nutzte es ihm, wenn sie ihm ihre Anmut überließ, während es ihren Nächsten das Leben reiten würde.
»Ich kann Euch keine Gabe überlassen«, beharrte Iome, unfähig, den Ekel in ihrer Stimme zu verbergen. Sie konnte sie ihm nicht überlassen. Nicht ihm persönlich.
»Wenn nicht mir, dann einem Vektor«, erbot sich Raj Ahten.
Irgend etwas in Iomes Herz löste sich. Ein Ausgleich war gefunden. Sie wollte ihre Schönheit abtreten für ihren Vater, für Chemoise. Solange sie sie nicht Raj Ahten geben mußte.
Mit brechender Stimme sagte sie: »Dann holt Euer Zwingeisen.«
Augenblicke
später
hatte
man
die
Zwingeisen
herbeigeschafft, zusammen mit einer erbärmlichen Frau, die ihre Anmut abgegeben hatte. Iome betrachtete also das alte Weib in dem schmutziggrauen Gewand und sah, was aus ihr werden würde. Sie hatte Mühe zu erkennen, welche Schönheit dort einmal verborgen gewesen war.
Dann setzten die Beschwörungen ein. Iome beobachtete Chemoise, die immer noch auf dem Rand des Fenstersimses verharrte, und wünschte im stillen ihre Schönheit fort, wünschte, etwas Schönes und ewig Kostbares damit zu erkaufen. Das Leben einer Freundin und des Kindes, das sie in sich trug.
Es knisterte in der Dunkelheit, und ein winziges, flatterndes Band phosphoreszierenden Feuers entstand, als der Annektor zu ihr kam und ihr das Zwingeisen unter dem Halsansatz, fast auf ihrem Busen, auflegte.
Einen halben Augenblick lang geschah nichts, und jemand murmelte; »Für deine Freundin. Tu es für deine Freundin.«
Iome nickte, und der Schweiß lief ihr in Strömen übers Gesicht. Sie hielt Chemoises Bild vor ihrem inneren Auge fest, wie sie ein Kind im Arm hält und es liebkost.
Dann spürte sie den unsäglichen Schmerz des Zwingeisens, öffnete die Augen, sah, wie die Haut an ihren Händen trocken wurde und riß, als verbrenne sie in infernalischer Hitze. An ihren Handgelenken traten die Adern wie Wurzeln hervor, und ihre Fingernägel wurden spröde wie Kalk.
Ihre festen, jungen Brüste erschlafften, und sie griff nach ihnen, spürte bitterlich den Verlust. Jetzt bedauerte sie den Handel, doch es war zu spät. Sie kam sich vor… als stünde sie im Fluß, und der Sand zu ihren Füßen würde fortgeschwemmt und sie unterspült. Alles, was ihr gehört hatte, all ihre Schönheit, ihr ganzer Reiz, strömte aus ihr heraus und hinein in das Zwingeisen.
Ihr glänzendes Haar verdorrte und kräuselte sich, Würmern gleich, auf ihrem
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