Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkel wie der Tod

Dunkel wie der Tod

Titel: Dunkel wie der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.B. RYAN
Vom Netzwerk:
„Und der Schlüssel ist nicht hier. Wahrscheinlich trägt Virgil ihn bei sich.“
    â€žKönnten Sie eine Ihrer Haarnadeln entbehren?“
    Nell zog sich eine heraus und reichte sie ihm. Er stocherte damit in dem kleinen Schloss herum, das erstaunlich schnell nachgab und klickend aufsprang.
    â€žSie haben recht viele verwerfliche Talente“, stellte sie fest und nahm das Kästchen wieder an sich.
    Er lächelte sie an. „Sie haben mich vermisst – geben Sie es ruhig zu.“
    Nell tat so, als hätte sie ihn nicht gehört, und sah in die Holzkassette, die innen in zwei rechteckige, mit Samt ausgeschlagene Fächer unterteilt war. In dem größeren lag ein Stapel cremefarbenen Briefpapiers, das kleinere war noch einmal unterteilt in weitere Fächer, die Schreibfedern und Stifte, ein Tintenfässchen, Siegelwachs und ein Federmesser enthielten.
    â€žEin Briefpult“, sagte Nell. „Pfarrer Beals hat es Virgil geschenkt, als er auf Bewährung freikam, damit er ihm schreiben könne.“
    â€žUnd hat er es getan?“
    â€žNoch nicht.“ Sie nahm eine der Federn heraus, deren Spitze schwarz von getrockneter Tinte war. „Aber es scheint, als habe er jemand anderem geschrieben.“
    â€žKönnte es sein, dass Beals Sie angelogen hat?“, fragte Will. „Vielleicht, um Virgil zu schützen, falls dieser ihm wenig Erbauliches geschrieben hätte? Sie meinten doch, dass der Pfarrer so etwas wie ein Anwalt der kleinen Leute sei und sich sehr für die Gefangenen einsetze.“
    â€žDas kann ich mir nicht vorstellen.“ Sie nahm das oberste Blatt heraus und hielt es schräg ins Licht, in der Hoffnung, einen Durchdruck darauf erkennen zu können – sie konnte nichts entdecken. „Pfarrer Beals machte auf mich einen sehr ehrlichen und aufrechten Eindruck. Sollte Virgil tatsächlich mit jemandem korrespondiert haben, dann gewiss nicht mit ihm.“
    Sie legte das Blatt zurück und tastete die Fächer und die äußeren Kanten des Kästchens ab.
    â€žWas suchen Sie?“, wollte Will wissen.
    â€žEinen Riegel, ein loses Brett …“
    â€žGlauben Sie, dass es ein Geheimfach gibt?“
    Sie nickte. „Dr. Greaves hatte auch … nun, es war nicht ganz so wie dieses, eher ein Reisepult, aber im Prinzip gleich. Wenn der Deckel aufgeklappt war und man ganz genau hinsah, entdeckte man einen schmalen Messingstift, der in eine Kerbe in eine der oberen Kanten eingepasst war. Er schien bloße Verzierung zu sein, doch wenn man den Stift ein wenig zur Seite schob, sprang darunter eine geheime Schublade auf.“
    â€žHaben Sie diese Entdeckung ganz allein gemacht?“
    â€žFalls Sie damit fragen wollen, ob ich in seinen Sachen herumgeschnüffelt habe – nein“, erwiderte Nell, derweil sie weiter an dem Kasten herumtastete und -klopfte. „Er hat mir das Fach gezeigt, weil er dort tausend Dollar aufbewahrte, die ich haben sollte, wenn ihm einmal etwas zustieße. Sein Vater war in recht jungen Jahren an einem Hirnschlag gestorben, und Dr. Greaves lebte in der ständigen Angst, dass ihn dasselbe Schicksal ereilen könnte.“
    Schweigend zündete Will sich eine Zigarette an und legte sich seitwärts auf den Boden – dieselbe Haltung, in der er einst Opium geraucht hatte. Er wusste, dass Nell nicht nur die Assistentin des Doktors gewesen war, sondern auch seine Geliebte. Ebenso wusste er, dass ihre Beziehung zu Duncan keinesfalls von romantischer Unbedarftheit war – nicht, dass sie ihm dies in aller Ausführlichkeit geschildert hätte, aber er wusste genug. Kultiviert, gewandt und auch gegen seinen Willen letztlich immer galant, hatte Will stets bekundet, keinerlei Vorbehalte hinsichtlich ihrer Vergangenheit zu haben. Doch als Nell ihn nun so sah, wie er dort in düsterem Schweigen seine Zigarette rauchte, fragte sie sich schon, was er wohl wirklich wegen der beiden Männer empfand, mit denen sie das Bett geteilt hatte – insbesondere wegen Dr. Greaves, für den sie noch immer eine innige und wohlverdiente, wenngleich nun rein platonische Zuneigung hegte.
    Nell räumte das kleinere der beiden Fächer aus und stellte fest, dass die kleinen Unterteilungen allesamt mit Samt ausgeschlagen waren – bis auf die quadratische Vertiefung, in dem das Tintenfässchen gestanden hatte. Sie kippte das Briefpult seitwärts und verglich die Tiefe des Faches, in dem

Weitere Kostenlose Bücher